Die vielen Gnadengaben und der eine Geist

In seinem 1. Korintherbrief beschreibt der Apostel Paulus das Leben der Gemeinde dort mit den vielen verschiedenen Gnadengaben, die dort zu finden sind, und die zur Einheit verbunden sind durch den einen Geist.

In wenigen Tagen feiern wir Pfingsten. Kann der Heiligen Geist unser Lehrmeister werden, um unsere Einheit zu bewahren und zu vertiefen?

 

Sprachen lernen

Immer wieder begeistert mich die Erzählung vom Pfingstfest in Jerusalem. Mutig und begeistert haben die Apostel von Jesus, dem Auferstandenen erzählt. Und die Apostelgeschichte berichtet: alle konnten sie in ihrer Sprache verstehen. Wie konnte ein Römer, ein Araber oder ein Ägypter einen Juden verstehen? Man kann dies schnell als ein Wunder des Heiligen Geistes abtun. Ein Wunder – dem würde ich zustimmen, aber abtun würde ich es nicht, ganz im Gegenteil. Ich würde von diesem Wunder lernen wollen. Kann ich das auch: in einer Sprache reden, die der andere versteht?

 

Babylon

Die gleiche Sprache – und doch nicht verstehen (wollen)

Wir haben es doch in unserer eigenen Geschichte erlebt: Menschen benutzen das gleiche Wort (z.B. Frieden, Freiheit, Menschenwürde), und meinen etwas ganz anderes. Daraus entstehen Meinungsverschiedenheiten, Konflikte, Krieg.

 

Pfingsten

Eine fremde Sprache – und doch kann ich den anderen verstehen

Doch das andere gibt es auch. Da wollen Menschen aufeinander zugehen, wollen einander verstehen, weil sie von der gleichen Idee – vielleicht auch von dem gleichen Geist – beseelt sind, und es entsteht eine Gemeinschaft. Pfingsten ist also auch heute möglich. Auch heute bewirkt Gottes Geist, dass Menschen einander verstehen wollen und können, und führt sie so zu Einheit.

 

Du bist mein geliebter Sohn (geliebte Tochter)

Der Hl. Geist wird häufig als die Liebe bezeichnet, die Gott Vater mit dem Sohn verbindet. Dies wird sehr eindrucksvoll bei der Taufe Jesu dargestellt. In allen 4 Evangelium wird von der Taufe Jesu im Jordan berichtet. Und in allen Berichten wird der Geist Gottes erwähnt, der in Gestalt einer Taube von oben herabkam. Und eine Stimme sprach: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.

 

An dir habe ich mein Wohlgefallen gefunden. – Mit diesem Satz wird die tiefe, liebende Beziehung zwischen Jesus und seinem Vater ausgedrückt.

Nehmen Sie die Erzählung von der Taufe Jesu in ihre geistliche Betrachtung! Dazu einige Fragen: Hat Gott schon einmal so zu Ihnen gesagt? Wann? Direkt oder durch einen anderen Menschen? Mit welchen Worten oder auf welche Weise? – Haben Sie diesen Satz zu anderen gesprochen? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

 

 

Alle sollen eins sein

Das Thema „Einheit“ ist neben der Liebe ein wichtiges Thema in den Abschiedsreden Jesu (Joh 15-17), aus denen wir in den Wochen vor Pfingsten oft im Evangelium hören.

In seinen Abschiedsreden, in denen Jesus seinen Jüngern auch den Heiligen Geist verheißen hat, bittet Jesus für die Jünger: „Alle sollen eins sein, wie du, Vater, in mir und ich in dir“ (Joh 17,21). Jesus bittet um die Einheit seiner Jünger, d.h. damit auch um die Einheit der Kirche und aller ihrer Glieder. Das ist bei ihm mehr als ein frommer Wunsch. Seine Bitte um Einheit hat zwei Ziele:

 

damit die Welt glaubt (Joh 17,21)

Der Jesuit Alfred Delp hat es kurz vor seiner Hinrichtung einmal ganz deutlich gesagt: „Wenn die Kirche noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumutet, ist sie abgeschrieben.“ Mit anderen Worten: dann ist sie nicht mehr glaubwürdig. Umgekehrt können Christen, die in der Einheit leben, andere nachdenklich machen und zum Glauben an Jesus Christus bringen.

 

Damit sie deine Herrlichkeit sehen (Joh 17,22.24)

Schon in den früheren Monatsvorträgen haben wir gesehen, wie ein Bemühen und Vertiefen der Einheit das Leben der Menschen zum Positiven verändern und damit auch glücklich machen kann. Am deutlichsten ist dies beim Thema Versöhnung zu erleben.

 

Keiner soll verloren gehen

In den Abschiedsreden Jesu findet sich noch eine weitere Bitte um Einheit. Da bittet Jesus, dass alle eins sein sollen (Joh 17,11).  Und er fügt hinzu, dass keiner verloren gegangen ist (Joh 17,12). Damit bezieht sich Jesus auf eine frühere Aussage: „Es ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse“ (Joh 6,39).

Diese Bitte Jesu kann man grundsätzlich auf das ewige Leben beziehen; also mit anderen Worten: Jesus möchte, dass alle Menschen gerettet werden und in den Himmel kommen.

Doch man kann diese Bitte auch schon auf Erfahrungen im Alltag beziehen: ich will, dass keiner fallengelassen oder abgeschrieben wird. Mit dieser Haltung ist Jesus den Menschen begegnet. Es gab durchaus viele, die von der damaligen Gesellschaft und auch von den Vertretern der Religion abgeschrieben und gemieden wurden: Zöllner, Kranke, Fremde, Aussätzige, Ehebrecher. Mit denen wollte niemand Gemeinschaft haben, deren Einheit war zerbrochen. Jesus hat sich diesen Menschen zugewandt, damit auch oft Anstoß erregt. Doch die Menschen haben gespürt, dass er sie nicht abgeschrieben hat. In seinen Augen (d.h. in den Augen Gottes) waren diese Menschen wertvoll. Und diese Zuwendung hat oft ihr Leben verändert.

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

 

10.05.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz