Sie erinnern sich sicher noch an den Brief von Sr. Sybilla und damit auch die Worte des Stifters Pfarrer Johannes Schneider. Einheit ist eine Beziehung. Sie ist nicht von vorn herein einfach da. Sie muss aufgebaut und gepflegt werden. Und sie unterliegt auch den Gesetzen, denen jede Beziehung unterliegt, nämlich sie kann sich verändern. Sie kann stärker werden, sie kann aber auch abflachen und ganz verschwinden. Das gilt für jede Gemeinschaft (Staat, Kirche, Pfarrei), das gilt auch für persönliche Gemeinschaften wie Familien und Freunde, und selbstverständlich auch für Ordensgemeinschaften. Das Versprechen eines Gelübdes oder das Tragen eines einheitlichen Ordenskleides macht noch keine Einheit aus. Einheit ist also eine innere Beziehung, die die Menschen miteinander verbindet.
Wachsen der Einheit konkret
Ich möchte Ihnen heute dazu ein paar geistlichen Impulse mitgeben, die Sie für sich persönlich betrachten und ausprobieren können.
Schon jetzt als Vorbemerkung: fangen Sie behutsam damit an, wenn Sie sich dazu entschließen. Solche konkreten Übungen können sehr anspruchsvoll, aber auch sehr wirkungsvoll sein.
Mein rechter Platz ist leer …
Sie kennen sicher das Kinderspiel, wo ein Kind auf den freien Platz neben sich jemanden wünschen darf. Natürlich haben wir uns damals unsere besten Freunde her gewünscht.
Einheit beginnt mit dem Wahrnehmen. Nehmen Sie doch mal den Platz neben sich (egal ob rechts oder links) zum Thema Ihrer Betrachtung. Wer hat heute neben mir (in der Bank in der Kapelle oder am Tisch beim Mittagessen)? Habe ich mit meiner Nachbarin geredet, sie angeschaut, sie angelächelt? Weiß ich, wie es ihr geht, ob sie etwas bedrückt, ob sie Schmerzen hat? Oder muss ich für mich sagen, dass der Platz neben mir wirklich leer ist, zumindest in dem Sinn, dass es mir eigentlich egal ist, wer da sitzt.
Sammelt euch Schätze im Himmel
In seinen Gleichnissen gebraucht Jesus mehrfach das Bild vom Schätze sammeln. So vergleicht er das Reich Gottes mit einem Schatz im Acker oder einer kostbaren Perle (Mt 13,44-46). Und in der Bergpredigt fordert er uns auf, Schätze zu sammeln, die nicht vergänglich sind (Mt 6,19-21). Das Bild vom Schätze sammeln ist ein beliebtes Thema für Einkehrtage oder Exerzitien.
Ich möchte Sie anregen, Schätze ganz konkret in Ihrer eigenen Gemeinschaft zu suchen. Ein Schatz macht einen Menschen reich. Wer bereichert Ihre Gemeinschaft? Was wäre, wenn es diese Schwester nicht mehr geben würde? Würde uns etwas fehlen.
Eine andere Gerechtigkeit
Der folgende Gedanke ist etwas schwierig, schon deshalb, weil wir Menschen in der Regel darin sehr empfindlich sind: es geht um die Gerechtigkeit. Einheit bedeutet, dass für alle gleich behandelt werden und für alle die gleichen Regeln gelten. Darauf haben wir als Jugendliche in der Familie und in der Schule peinlichst geachtet. Wenn wir das Gefühl hatten, dass jemand vorgezogen wurden, empfanden wir dies als ungerecht und forderten Gerechtigkeit. Grundsätzlich möchte ich von dieser Haltung auch nicht abgehen. Es gehört zur Bewahrung einer Gemeinschaft und ihrer Einheit dazu, dass es verbindliche Regeln gibt, die dann auch für alle gelten, und die alle eint.
Doch spätestens das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) lässt einen nachdenklich werden. Einige Arbeiter meutern: Das ist ungerecht. Doch mit welchem Lohn werde ich allen gerecht? – eine Frage, mit der sich Eltern, Lehrer, Vorgesetzte usw. immer wieder auseinandersetzen müssen.
Eine schöne Antwort dazu habe ich in der Geschichte von Jan und dem Großvater gefunden. Stefanie hat eine kostbare Kette verloren, und Jan findet, dass sie bestraft werden müsste. Für ihn ist es nicht gerecht, dass der Großvater Stefanie verzeiht. Doch der Großvater mit seiner reichen Lebenserfahrung weiß mehr. In einer solchen Welt möchte er nicht leben, da würde er frieren (eine fantastische Bildersprache). Haben Sie das Gefühl, in Ihrer Gemeinschaft zu frieren? Und könnten Sie von dem Großvater etwas lernen zum Thema Einheit?
Prälat Dr. Stefan Dybowski
15.07.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz