„Vertrauen Sie Gott, er hat einen besseren Plan für Sie.“

Ein Telefonanruf mit einer Frage: “ Schwester, könnten Sie in der Einrichtung in Żerniki (Breslau Neukirch) helfen, in der einige Mädchen und Frauen mit dem Virus infiziert sind?” Meine Antwort lautet: „Ja, das tue ich gerne.“  Ich kenne das Haus in Żerniki und habe dort mit behinderten Kindern gearbeitet. Die Arbeit an sich hat mich also nicht erschreckt, aber in meinem Kopf hatte ich Gedanken, wie werde ich diese Frauen kennenlernen, ihre Namen erfahren und mich um sie kümmern? Wer wird noch helfen? Wird es weitere Mitarbeiter geben? Trotz dieser Fragen hatte ich Seelenfrieden und die Freude, helfen zu können und darauf zu vertrauen, dass Gott sich um alles kümmern wird.

Viele von uns meinen, es schwer zu haben, wenn sie jeden Tag mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, wir beschweren und beklagen uns, weil wir etwas nicht haben oder dass unsere Vorgesetzten von uns zuviel fordern und erwarten oder in bestimmten Angelegenheiten für uns entscheiden. Manchmal beschweren sich die Leute auch bei mir. So werden jeden Tag aus kleinen Dingen große Probleme und manche Einschränkungen, die das Ordensleben mit sich bringt oder die Vorgesetzten von uns verlangen, sind uns lästig. Die Realität, die ich vorfand, nachdem ich nach Żerniki gekommen war, erlaubte mir, bestimmte Dinge in meinem Leben anders zu betrachten.

Die Menschen, um die ich mich kümmern muss, sind sehr geduldig, ohne viel zu klagen oder sich zu wehren, obwohl ihr Alltag nicht optimistisch ist. Unsere Schützlinge haben wenig Einfluss darauf, wie der Tag verlaufen wird. Sie sind fast vollständig von ihren Betreuern abhängig – jemand muss ihnen beim Anziehen und bei der Toilette helfen, sie müssen gefüttert werden und brauchen  Begleitung beim Arztbesuch, die für sie auch sagt, was ihnen wehtut. Die Betreuerinnen und Betreuer wählen für sie aus, was sie essen, welche Schuhe sie tragen und welches Deodorant sie benutzen.

Ich verhehle nicht die Tatsache, dass es manchmal körperlich und emotional schwierig ist. Wir arbeiten 12 Stunden am Tag, in Schutzanzügen, Masken, Schuhschützern, und tun jeden Tag das Gleiche. Routine, Müdigkeit und der innere Kampf, sich nicht zu beklagen. Was gibt uns Kraft? Die Gemeinschaft und gegenseitige Zusammenarbeit, die Gespräche mit den Schwestern, gemeinsame Freuden und bei Schwierigkeiten die gegenseitige Hilfe. Ein Lächeln der zu Betreuenden – wahrhaftig, aufrichtig; ein Blick direkt in die Augen, von einer Person, die nicht sprechen kann, eine Geste des Nickens voller Dankbarkeit, für das gereichte Essen, für die Hilfe im Bad; eine Umarmung, ein Kopf, der auf meiner Schulter ruht, mit den Worten „Schwester, ich mag dich“. – all das kann die wunden Beine und die Müdigkeit, die ganze Anstrengung ausgleichen. Ein anderes Mal kam ein Mädchen nach dem Frühstück und überreichte mir eine Zeichnung mit dem Bild des Barmherzigen Jesus, unter dem sie schrieb: „Jesus ich vertraue auf dich“ – mir kamen die Tränen in die Augen. Der Gedanke – Jesus ist bei mir, ich muss vertrauen, er ist hier unter diesen Mädchen, er ist in ihnen, er gibt Kraft.

Eines Tages beim Mittagessen bemerke ich, wie eine der Frauen einer schwächeren Frau, die neben ihr sitzt, die Schüssel hält und ihr beim Suppen essen hilft. Es mag wie eine „kleine Geste“ erscheinen, aber mit einem aufmerksamen, einfühlendem Herzen. Von ihnen können wir lernen, sensibel zu sein und die Bedürfnisse der Schwächeren zu erkennen.

Wenn ich nach der Arbeit am nächsten Tages Müdigkeit und Kopfschmerzen verspüre, denke ich an das Mädchen, das mit dem Bild Jesu umhergeht, ihn streichelt, ihn ansieht und mit großer Zärtlichkeit küsst. Das bringt mich dazu, mich zu fragen, wie meine Liebe zu Jesus aussieht.

Wir können uns fragen: Wo ist Gott in all dem? Schließlich sind diese Frauen krank, oft abgeschoben und von anderen abhängig. Nun, Er ist in all diesen Situationen, in den kleinen Gesten, im Lächeln, in den Blicken, der kindlichen Freude, in ihrer Sensibilität.

Es ist nicht immer so, wie wir planen, erfinden oder träumen. Wir  können rebellieren, nervös werden, uns beschweren, aber wir können auch nach Sinn suchen, und unsere Lebenspläne ändern, uns an eine neue Situation anpassen, denn alles wird von Gott gelenkt, der besser weiß, was für uns am besten ist.

Die Zeit, die ich zwischen diesen Frauen verbringe, zählt zu den schönsten Momente in den letzten Monaten meines Lebens.

Sr. M. Noemi

 

 

Es ist an der Zeit…

Eine Botschaft, ein Gedanke, ein Moment… und eine Entscheidung.

Die Welt der behinderten Menschen hat mich immer begleitet. In der Familie, zu Hause, in der Schule…

Aber noch nie so sehr, bis bei meinem Neffen nach dem ersten Lebensjahr eine Behinderung diagnostiziert wurde. Der Schrei an Gott hallte wider. Der Glaube an Gott wurde auf die Probe gestellt, die Frage nach dem „Sinn“ der eigenen Berufung. Welchen Sinn hat das Ordenslebens, wenn Gott… so abwesend ist?

Ich denke, dass das Lächeln, die Freude und die Liebe, die dieses Kind in das Leben unserer Familie brachte, uns nicht erlaubte, weiter zu zweifeln.  Ziemlich schnell entdeckte ich in diesem Kind eine „andere, spirituelle Welt“ – schön und selbst für mich unzugänglich – einer Ordensfrau.

Die Zeit ist vergangen, und es ist viel passiert. Manchmal war es möglich, meiner Schwester zu helfen, sie und ihren Sohn beim nächsten Kranken-hausaufenthalte zu begleiten. Im Krankenhaus in Wrocław (Breslau) auf der neurologischen Station traf ich einen Jungen mit einem wunderschönen Lächeln und blonden Haaren, der an einer sehr schweren und schmerzhaften Krankheit litt. Alle sagten mir, es sei ein „Schwestern-Kind“. Ich war überrascht und fragte: „Was heißt das?“ Es stellte sich heraus, dass es ein Junge aus unserem Haus in Piszkowice (Pischkowitz) war. So eine kleine Kreatur hat mir wieder einmal das Herz gestohlen. Ja, es war auch „mein Kind“ – unserer Schwestern, meiner Schwestern aus Piszkowice. Diese kurze Begegnung blieb fest in meinem Herzen.

Als dann im August bei uns wegen des Virus die Bitte um Hilfe kam, war für mich klar, dass ich es wollte, ja sogar musste. Als die Provinzoberin nach der Möglichkeit fragte, in unserem Einrichtung in Żerniki (Breslau-Neukirch) zu helfen, war dies mir aufgrund der Umstände leider nicht sofort möglich …. Und ich dachte: „Oh … in diesem Haus sind es keine Kinder mehr.”

Es fiel mir schwerer als früher, schnell eine Entscheidung zu treffen. Selbst jetzt kann ich nicht ganz erklären, wie es dazu kam, dass ich hierher gekommen bin. Ich schätze, ich habe einfach nicht lange überlegt und nach den Einzelheiten der Arbeit gefragt. Okay. Das mache ich. Das war’s.

Ich habe mich gefreut zu hören, dass andere Schwestern mit mir dort sind. Wir treffen uns gerne in unserer Gruppe. Die ersten Momente unserer gemeinsamen Arbeit – weiße Schutzkleidung, die wir ungeschickt vom Fuß bis zum Hals, Maske und Schutzbrille tragen mussten…, ließen uns den Atem anhalten. Und wie arbeitet man damit…? Wie steht man vor einem kranken Menschen in sochem Anzug…? 12 Stunden Arbeit jeden Tag, auch samstags und sonntags, und das Wissen, dass uns niemand kennt, dass wir in einer fremdem Einrichtung auf uns allein gestellt sind, unbekannte Arbeit, fremde Menschen.  Das waren schwierige Momente.

Der erste Tag der Arbeit mit dieser Schutzkleidung dauerte ewig. Aber der erste Abend kam und die Freude, es auszuziehen und die Aussicht auf Ruhe… uff… Diese Freude war nur kurz, aber eine neue Freude kam… Die abendlichen Treffen mit den Schwestern. Wir konnten reden. So viele Gedanken, so viele Dinge. Wir teilten unsere Ängste und Befürchtungen über das, was vor uns lag, und das Wie…? Wie können wir das machen? So viele neue Dinge in der Arbeit mit diesen Frauen. An vieles konnten wir uns nicht erinnern – „Wer schläft wo, ist sie verwirrt oder ruhig …” Eine der Schwestern wirft die Frage ein: „Ist die Pampers M kleiner als L?” Und viele, vieles andere… Aber eines war sicher, die Gebete unserer Schwestern und die Gewissheit der Gegenwart Gottes, denn „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“ Mt 18,20.

Die nächsten Tage dieser Zeit: Eine Zeit der Begegnung mit Gott selbst. Der Lebendige, der unter uns und in jedem von uns gegenwärtig ist. Gott ist vor allem in unseren kranken Mädchen gegenwärtig. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich mit den Mädchen anfreunde. Dass ich sie umarme, immer stärker und ehrlicher, und dass mir ihr Wohl am Herzen liegt.

Gott ist hier so nahe, zum Greifen nahe. Indem ich jemand das Gesicht wasche, das Abendessen serviere, den Boden wische… Jedes Lächeln und jede Geste dieser Frauen.

„Schwester, ich liebe dich.“ – wiederholt Agnieszka, eine Bewohnerin des Hauses hier. Zuerst hörte ich diese Worte im Vorübergehen, dann fühle ich, wie diese Worte in mir leben, wie sie zu den meinen werden… „Ich liebe dich, Agnieszka… Ich liebe euch Mädchen…“

In der Kirche sind sie Sein Herz, ich bin vielleicht ein Arm, ein Bein… aber sie sind der wichtigste und wertvollste Teil Seines Herzens, der das Herz Gottes zerreißt.

Sr. M. Daniela

 

 

„Herr, ich liebe das Haus, in dem du wohnst, und den Ort, an dem deine Herrlichkeit wohnt“ Psalm 26,8

 

Dieses Fragment begleitete mich, seit ich meinen ehrenamtlichen Dienst  in Żerniki (Breslau-Neukirch) begann. Wir beteten es im Brevier, am Tag unserer Ankunft. Als ich mir die Frauen ansah, die sich hier aufhalten, wusste ich, dass dies der Ort ist, an dem Gott ist. Dies ist sein Haus, und ich kann hier sein.

Die Arbeit hier lehrt mich Respekt vor geistig behinderten, psychisch kranken Frauen. Es gibt Frauen, mit denen der Kontakt begrenzt ist: Sie reden nicht, sie zeigen nicht, was sie denken. Und eine der Schwestern sagt: Sie verstehen sehr viel. Es sind Menschen, die viel Respekt und eine würdige Behandlung verdienen: mit Worten, mit Gesten. Wenn ich unter ihnen bin, sehe ich, wie unsere Freude und Offenheit ihnen gegenüber ihr Vertrauen und ihre Herzlichkeit weckt und wie es hilft, sich um sie zu kümmern und für sie zu sorgen. Als ich sie dem Namen nach kennenlernte, kamen sie mir noch näher. Unser anfängliches Entsetzen: „Ob ich das kann“, war schnell vorbei. Wir sind in den Rhythmus dieses Hauses eingetreten, der von der Pflege der Frauen hier bestimmt wird: füttern, anziehen, waschen. Ich mag das Lächeln dieser Frauen, ihr Lachen, ihre Worte begleiten mich, ich spüre ihre Dankbarkeit, ich sehe, wie gerne sie bei uns sind. Wir begleiten die Frauen in ihrer Freude, Trauer, Angst – in diesen Gefühlen sind wir alle gleich. Diese Frauen brauchen so wenig – Zuneigung und ein offenes Herz, jemanden, der sie freundlich ansieht, sie umarmt, bei ihnen bleibt. Für sie ist die materielle Welt nicht wichtig (obwohl sie, wie viele Frauen, eine hübsche Bluse und Perlen am Hals tragen). Das zeigt mir, was der Mensch vermisst: den anderen Menschen, die Berührung, die wirkliche Gegenwart. Die Erfahrung der Präsenz ist Stärke, Sicherheit, Liebe, sie zeigt sich mir bei diesen Frauen so greifbar. Ich bin nicht nur für sie wichtig, sondern sie sind es auch für mich. Das Zusammensein mit diesen Frauen lehrt mich Sanftmut, Demut in dem, was ist. Wir sind uns ähnlich, wenn wir das Wort „Mutter“ mit Zärtlichkeit aussprechen. Viele Frauen, auch solche, die wenig sagen, wiederholen das Wort oft: „Mama.“ Es ist so rührend, dass die Mutter für jemanden immer so wichtig ist. Es ist in die Tiefe ihres Herzens geschrieben. Hier begegne ich dem Reichtum ihrer Herzen. Eine der Frauen sagt: „Ich habe keine Mutter, aber ich habe eine Mutter Gottes, die in der Kapelle ist.”

Ich weiß nicht, woher diese Kräfte in mir kommen, es ist eine ganz alltägliche Aufgabe für 12 Stunden am Tag. Ich betrachte es als ein Geschenk. Diese Zeit jetzt ist eine solche Bereicherung für mich.

Ich genieße die Anwesenheit meiner Mitschwestern, mit denen ich hier zusammen sein kann. Ich sehe, wie die Freude des Zusammenseins einer fruchtbaren Arbeit förderlich ist, die Arbeit geht reibungslos vonstatten, und damit haben wir viel Freude. Hier verblassen alle anderen Probleme.

 

Sr. M. Dominika