Ich lernte die Gemeinschaft durch die älteren Schwestern kennen, die in dem Dorf Fridrichstahl (Zagwiździe) arbeiteten, wo ich wohnte. Die Schwestern kümmerten sich dort um Kinder und alte Menschen und sie besuchten auch die Kranken. Unter ihnen war eine eine ältere Schwester Gervazia, die mich sehr mochte, und ich mochte sie. Diese Bekanntschaft zog mich ins Kloster („Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe.“ Hos 11, 4).

Leider haben die Russkies (Russen) Sr. Gervazia im Januar 1945 erschossen. An diesem Tag kam sie von den Kranken, und da war ein Russe, der ihr Gewalt antat und sie dann auf den Hof hinausführte. Sie musste neben einem Fliederbusch niederknien, und er tötete sie mit einem Schuss in die Seite des Kopfes. Die Schwestern nahmen sie mit nach Hause und nach drei Tagen wurde sie ohne Priester begraben, da dieser ebenfalls Angst hatte, erschossen zu werden. Mein Vater zimmerte einen Sarg, grub ein Grab und legte Sr. Gervazia in die Erde, ohne jegliche Beerdigungszeremonie. Sie liegt dort bis heute auf dem Friedhof.

Ab meinem 15. Lebensjahr habe ich bei den Schwestern als Helferin gearbeitet und mich um die alten Frauen und Kinder gekümmert. Ich habe gewaschen, geputzt. Damals dachte ich, dass Gott die Mädchen, die Ordensfrauen werden wollten, an einem besonderen und sicheren Ort aufwachsen ließ und sie dann in ein Kloster gingen. Ich wollte in ein Kloster eintreten, es war mir egal, in welches. Ich kannte auch die Schwestern von Notre Dame, aber sie hielten Abstand zu mir, sie waren unzugänglich, doch ich wollte immer mehr zu den Schwestern gehören, und so kam ich zu den Marienschwestern v.d.U.E., sie nahmen mich auf, schenkten mir viel Wärme und Interesse. Ich schrieb einen Brief an Sr. Agreda auf Deutsch, weil ich noch kein Polnisch konnte. Eigentlich wollte ich am 1. Oktober eintreten, doch sie schrieb zurück, dass ich früher kommen sollte, damit ich ab dem 1. September zur Schule gehen kann. Und so ist es geschehen. Zusammen mit den anderen Kandidatinnen waren wir glücklich, im Kloster zu sein, wir waren insgesamt 14. Wir waren uns sehr nahe und mochten uns.

In der Zeit meiner Kandidatur träumte ich zum ersten Mal von unserem Stifter, das heißt, von seinem Grab. Zwei wunderschöne kleine Engel standen auf beiden Seiten davon, hielten ein Licht in den Händen und sagten: „Komm zu unserem Stifter und bete; er hört dich immer.” Vor diesem Traum  war ich nur froh, im Kloster zu sein. Danach begann ich, unseren Stiftervater besser kennenzulernen; ich begann, auf seine Fürsprache hin zu beten und eine Verbindung mit ihm zu spüren.

Später, im Jahr 1953, als ich schon nach Otorowo deportiert worden war, hatte ich wieder einen Traum mit unserem Stifter. Diesmal sah ich ihn. Er erschien mir wie ein Bischof, aber in ziviler Kleidung; er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd; er war groß, schlank und würdevoll. Wir waren gespannt, wie lange wir in Ottorowo bleiben müssten, wir warteten darauf, dass er es uns sagte. Wir wussten, dass er vom Himmel kommt. Er hob die Hand, schaute nach rechts, nach links und sagte: „Haltet durch, Schwestern, haltet durch.“ Hinter ihm stand ein Engel, der zu uns sprach und uns schwarze Wolle gab. Wir folgten dem Stifter, aber wir konnten nur bis zur Grenze des Hauses gelangen, nicht weiter, weil er zum Himmel aufstieg. Wir waren wie die Jünger, die die Himmelfahrt des Herrn Jesus beobachteten. Dieser Traum gab mir mehr Freude, den Wunsch zu beten und weiter leben zu wollen.

Am 25. März, dem Hochfest Mariä Verkündigung, legten 10 Schwestern, darunter ich, in Otorowo ihre ewigen Gelübde ab. Es war eine sehr bescheidene, aber frohe Feier. Wir haben Ringe (ich weiß nicht, woher) und Handschuhe geschenkt bekommen.

Ich war sehr glücklich. Ich war einer der Jüngsten, ich war 23 Jahre alt. Sie haben ein Foto von uns gemacht.

Die Ursulinen, die 10 km entfernt wohnten, besuchten uns auch. Sie kamen  manchmal zu den Feiertagen und Festen und machten Überraschungen für uns, damit wir etwas Freude hatten.

         Zunächst arbeitete ich in Otorowo 3 Monate lang auf den Feldern. Wir ernteten Kartoffeln, Rüben, es war Erntezeit. Später nähte ich Hemden, Bettwäsche, bügelte (75 Hemden am Tag, aber ich bügelte mehr), nähte Knöpfe an. Jeden Morgen gab es das Morgengebet, die Heilige Messe, später das Mittagsgebet und die Vesper am Nachmittag. Wir haben das Brevier in Latein gebetet, ich habe oft den Vorsitz geführt. Im Sommer, wenn es heiß war, beteten wir draußen auf Bänken aus Brettern sitzend.

Im nächsten Jahr, im Januar, ließen sie uns gehen.

            Der Aufenthalt in Otorowo hat meine Berufung gestärkt, ich habe mich durch diese Erfahrung nicht entmutigen lassen. Nur eine Schwester ist nach ihrem ersten Gelübde gegangen, weil ihre Mutter kam, um sie zu holen. Wir waren 120 Marienschwestern da, aber nur eine ging. Wenn meine Mutter mich abgeholt hätte, wäre ich nicht gegangen.

Ich bin stolz darauf, in der Kongregation der Marienschwestern v.d.U.E. zu sein und dass es Maria ist, die über uns wacht, weil sie dem Herrn Jesus am nächsten ist, sie ist unsere Beschützerin und Helferin. Sie gehört zu uns, und wir sind ihre Kinder.

            In den Momenten, in denen es am schwierigsten war, wurde ich von gegenseitiger Liebe und der Freude, in der Gemeinschaft zu sein, getragen. Ich habe erlebt, dass das Zusammensein Kraft gibt.

Jetzt bin ich 84 Jahre alt und ich warte auf einen weiteren Traum, wenn der Stifter zu mir kommt. Ich möchte hören, was er zu mir sagen wird.

 

Nysa, 03.11.2014

(gehört und aufgezeichnet von Sr. Rachela Wąsowicz)