„Ich helfe allen Menschen, die auf der Straße leben. Ich gehe zu den Bahnhöfen, unter die Brücken, ich besuche leere Plätze, Rampen und Gleisanschlüsse, alte Lagerhäuser, Treppen“, sagt Schwester Edyta Kasjan von der Kongregation der Marienschwestern v.d.U.E., die in der Bahnhofsmission in Wrocław (Breslau) arbeitet.

Neben ihrer Arbeit als Streetworkerin betreibt Sr. Edyta zusammen mit ihren Mitschwestern Sr. Goretti und Sr. Helena ein Zentrum, das alleinstehenden Frauen Schutz bietet. – Die Menschen, denen ich begegne, schleppen das Gepäck traumatischer Erfahrungen mit sich: Gewalt, Mangel an Liebe und Geborgenheit, Ablehnung, Menschenhandel. Jeder, der auf der Straße lebt, hat Sehnsucht nach der  verlorenen Heimat. Keiner von ihnen sagt: „Von nun an werde ich ohne Heimat und Obdach sein und dann bin ich glücklich“. – betont sie.

Sr. Edyta arbeitet in Wrocław. – Dort wurde im 19. Jahrhundert unsere Kongregation gegründet, als junge Frauen auf der Suche nach Arbeit in diese Stadt kamen, oft hilf- und orientierungslos waren und auf der Straße landeten. Damals fragte die Stadtverwaltung bei der Kirche an, ob sich ein Priester um diese Frauen kümmern könne. Am geeignetsten für diese Aufgabe erwies sich Pfarrer Johannes Schneider, der zuvor mit Frauen in einer Zigarrenfabrik gearbeitet hatte. Er war es, der den Verein und dann die Gemeinschaft gegründet hat“, erzählt sie.

Wie kann jemand auf der Straße sterben?

Nicht jeder lässt sich dazu überreden, einen Unterstand, eine Wärmestube oder eine andere Einrichtung zu nutzen. Manchmal ist alles, was man tun kann, einen Menschen dort zu begleiten, wo er sich befindet – auf der Straße, auf leeren Plätzen, in Gartenlauben.

Menschen ohne festen Wohnsitz sterben anders. – Das Schlimmste ist dann die Einsamkeit“, erklärt die Schwester. Selbst wenn sie im Krankenhaus sterben, ist es meist unmöglich, jemanden zu finden, der ihnen nahe steht, und es kommt selten vor, dass jemand von der die Familie sie besuchen kommt. Es lohnt sich, dafür „zu kämpfen“, dass sie im Sterben nicht allein sein müssen. Es ist traurig, wenn sie in dunklen Ecken und Winkeln sterben und dann als „N.N.“ begraben werden.

– Einige Zeit vor dem Ausbruch der Pandemie traf ich Herrn Kazimierz. Einmal war er obdachlos, einmal lebte er irgendwo. Er hatte verschiedene „Höhen und Tiefen“, die sich leider auch auf seine Gesundheit auswirkten. Schlechtes Essen, ungesunde Lebensweise, Schlafen auf Pappkartons, die auf blankem Beton ausgebreitet sind, bedeuten für Obdachlose oft einen schnellen Gesundheitsverlust. Kazimierz hatte Tuberkulose. –

Beim Anblick einer Ordensfrau weinte er und sagte: „Edith, ich sterbe.“ „Haben Sie Angst?“ – fragte ich. „Ja, denn ich weiß nicht, was mich dort erwartet.“ Die Schwester erzählte ihm von der unendlichen Liebe Gottes. – „Wenn du wüsstest, wie sehr er dich liebt, würdest du vor Glück verrückt werden. Aber Sie sollen wissen, dass er unseren Willen respektiert. Wenn wir seine Liebe nicht annehmen wollen, drängt er sich uns nicht auf“. – Ich habe versucht, es ihm zu erklären. – „Wenn Sie auf die andere Seite gehen, sagen Sie: „Jesus, ich vertraue dir.“ – …erinnert sich die Schwester. – Er antwortete: „Das war’s?“ „Ja, aber nicht ein bißchen. – Dein ganzer Glaube, deine ganze Liebe, dein ganzes Herz…”

Es fiel Kazimierz schwer, dies zu begreifen, deshalb sagte die Schwester schließlich: „Wenn Sie sich ein solches Gebet nicht sprechen können, dann sagen Sie Jesus einfach, dass Sie von Edith kommen.” „Was, er kennt Sie?” „Sicher, er weiß… Wissen Sie, ich habe dort ein Zimmer reserviert für solche Ungläubigen“. – Sie erklärte ihm mit einem Lächeln, dass sie jeden Tag für ihn und seine Freunde bete. „Sie werden nicht ohne Hilfe sein, wenn Sie auf die andere Seite gehen.” – „Wir wissen nicht, wer zuerst da sein wird. Wenn ich das bin, werde ich auf dich warten; wenn du das bist, warte auch auf mich…“

Er vertraut darauf, dass sie sich treffen werden…

 

(Banasiewicz-Blog)