Beginnen Sie mit einer geistlichen Übung. Fragen Sie sich: Welchen Wert hat für Sie eine Gemeinschaft, oder noch konkreter: welchen Wert hat für Sie diese Gemeinschaft, in der Sie jetzt leben oder in der Sie früher gelebt haben? Und ich sage Ihnen gleich: Betrachten Sie diese Frage nicht nur in der Theorie, sondern im praktischen Alltagsgeschehen.

Ich denke, dass das Bemühen um Einheit wesentlich davon abhängt, welchen Wert Sie der Gemeinschaft zumessen. Wenn die Gemeinschaft für Sie ein Wert bedeutet (und das nicht nur auf dem Papier einer Konstitution, sondern im Alltag), dann werden Sie auch dem Anliegen des Stifters Pfr. Johannes Schneider nachkommen und die Einheit suchen und vertiefen wollen.

 

1+1+1=3

Warum schließen sich Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen?

Es gibt viele und gute Gründe, die für den Zusammenschluss zu einer Gemeinschaft sprechen:

– Stärke in der Gemeinsamkeit

Sehr schnell können Frauen und Männer von Aufgaben, Schwierigkeiten und Not überfordert werden. Die Erfahrung, nicht allein zu sein, stärkt jeden in seinem Tun. Gemeinsam kann man mehr bewegen als allein.

– Vielfalt in der Verschiedenheit

In unserem Leben spielt die Kreativität eine große Rolle. Dies gilt für die Gestaltung des alltäglichen Lebens wie auch für das Lösen von Problemen. Deshalb werden häufig Arbeitsgruppen gebildet. Eine Gemeinschaft ist ein guter Raum, in dem Ideen wachsen und zur Entfaltung gebracht werden können.

– Freude in der Gemeinschaft

Durch das Zusammenschließen (z.B. bei Sport und Spiel, beim Erleben der Natur, beim Musizieren und Singen, auf Reisen) erleben Menschen viel Freude.

All diese Erfahrungen lassen sich kurz auf einen Nenner bringen: Gemeinschaft stärkt und hilft dem Einzelnen.  Oder mathematisch ausgedrückt: 1+1+1=3

 

Mehr als die Summe der Einzelnen

Die eben genannten Kriterien sprechen für eine Gemeinschaft, sind aber nicht unbedingt zwingend für eine solche. Jeder einzelne könnte auch ohne die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft leben, auch ein geistliches Leben. Das kann man auch sehen und erleben: dass eine Gemeinschaft lediglich gesucht und gelebt wird, wenn ich Bedarf (z.B. Unterstützungsbedarf) habe. – Ich wage aber zu behaupten, dass dies allein nicht ausreicht in dem Bemühen um Einheit. Das geht nur, wenn ich in der Gemeinschaft ein „mehr“ sehe, das für mich wertvoll und erstrebenswert ist.

 

Der Wert der Kommunikation

Bei Eheseminaren wurden folgende Übungen durchgeführt: Jedes Paar sollte mit schon beschrifteten Bausteinen ein Haus bauen. Was ihnen wichtig war, wurde in das Fundament gelegt, was ihnen unwichtig erschien, kam auf den Bauschutt. Im Anschluss wurden die Häuser vorgestellt. Viele Paare haben dabei berichtet, dass nicht die Darstellung des fertigen Hauses das entscheidende war, sondern die beim Bau des Hauses stattgefundene Kommunikation besonders wertvoll empfunden haben.

 

Der Wert des Überflüssigen

Die Verlockung ist groß, im Leben das notwendige vom nicht-notwendigen zu unterscheiden und sich von allem, was nicht notwendig ist, zu trennen: Das brauche ich nicht, das ist überflüssig.

Dazu ein interessantes Experiment. Sie bauchen zum Stehen wenige Quadratzentimeter Erde, auf die Sie Ihre Füße gesetzt haben. Würde man Ihnen aber die Erde (besser: den Boden) ringsherum entziehen, würde Ihnen schnell schwindlig werden, und Sie würden Angst bekommen. Auch wenn ich den Boden um mich herum nicht zum Stehen brauche, geben sie mir doch Halt und sind wichtig.

Geistliche Übung: Sammeln Sie doch mal in einer Tabelle (mit 2 Spalten), was unbedingt notwendig ist, und was erst einmal nicht unbedingt notwendig ist. Und dann gehen Sie mal in die zweite Spalte (nicht notwendig), und prüfen Sie mal, welchen Wert diese Dinge für Sie haben.

 

Der Wert der Anderen

Die stärkste Motivation für den Wert der Gemeinschaft scheint mir immer noch die Wertschätzung des Einzelnen zu sein. Das Beitreten zu einer Gemeinschaft ist oft von der Wertschätzung eines Anderen geprägt. Übrigens haben auch Berufungsgeschichten häufig ihren Ursprung darin, dass ich einen Menschen schätzen und lieben gelernt habe.

 

Suchen und Vertiefen der Einheit

Der Wert, den ich in der Gemeinschaft sehe, ist eine gute Motivation, sich um Einheit zu bemühen und sie vertiefen. Provokativ gesprochen: wer in der Gemeinschaft lediglich einen Zweckverband sieht, wird jede Gelegenheit nutzen, aus der Gemeinschaft innerlich und vielleicht auch äußerlich herauszutreten. Umkehrt aber kann der Wert, den für mich eine Gemeinschaft hat, meine eigene Identifikation mit der Gemeinschaft fördern und meinen Beitrag zur Einheit vertiefen. Oder noch einmal mathematisch ausgedrückt: 1+1+1=4.

 

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

17.06.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz