Geschenkte Einheit

Geschenkte Einheit

Erinnerungen an die deutsche Geschichte
Erinnern Sie sich noch? Die Besetzungen der deutschen Botschaften in Prag und Warschau 1989, die Öffnung der Grenze zwischen Österreich und Ungarn, die Montagsdemos in Leipzig und an anderen Orten, die erste Maueröffnung am 9. November 1989 und schließlich der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Es waren damals ereignisreiche und bewegte Wochen, die wir alle mit Spannung erlebt haben. Und viele Gefühle haben uns dabei begleitet: Sorge und große Angst, aber auch Hoffnung und Freude. Und als dann schließlich der Einigungsvertrag unterzeichnet war, haben nicht wenige auch die Hände gefaltet und Gott gedankt. Die deutsche Einheit war nicht nur ein Werk von Menschen, sondern wurde auch als Geschenk empfunden, als Geschenk von oben, von Gott.

 

Es gibt zwei Extrempositionen, die man mit diesem Thema „geschenkte Einheit“ verbinden könnte, und die ich hier kurz andeuten möchte.

 

Hände in den Schoß legen
Man könnte zum einen meinen: Wenn die Einheit ein Geschenk ist, dann kann und brauche ich auch nichts zu machen. Dann kann ich meine Hände in den Schoß legen und abwarten, bis die Einheit von Gott kommt. Vor dieser Annahme möchte ich warnen. Ich bin sicher, dass die deutsche Einheit niemals zustande gekommen wäre ohne das Bemühen vieler auf beiden Seiten: Politiker, Wissenschaftler, Vertreter der Kirchen, Künstler und vieler einfacher Bürger.

Ferner denke ich dabei nicht nur an die deutsche Einheit. Auch die Christen sind getrennt in verschiedene Konfessionen. Und ich bin dankbar und froh, dass viele Christen nicht die Hände in den Schoß legen und warten, bis Gott etwas bewirkt, sondern dass sie mitwirken und aufeinander zugehen, auch wenn sie wissen, dass die Einheit letztlich ein Geschenk ist.

 

Verordnete oder erzwungene Einheit

Einheit kann man nicht machen und schon gar nicht anordnen. Das zeigt die jüngere Geschichte mehrerer europäischer Staaten. Die Sowjetunion ist in der Zeit von Glasnost und Peristroika schnell auseinandergefallen. Im ehemaligen Jugoslawien haben die 7 Republiken nach dem Tod Titos sofort ihre Unabhängigkeit erklärt. Und auch in so Ländern wie Großbritannien oder Spanien steht so manches Mal die Einheit auf dem Spiel. Eine verordnete oder gar erzwungene Einheit hat selten Bestand.

Die Wirklichkeit liegt also in der Mitte. Einheit ist ein Geschenk, aber ich kann viel dazu beitragen, dass dieses Geschenk auch Wirklichkeit werden und bleiben kann.

 

Wertschätzung als Nährboden der Einheit

Einheit braucht einen anderen Nährboden, damit sie wachsen kann. Dieser Nährboden ist die gegenseitige Wertschätzung. Auch dafür gibt es wunderbare Beispiele. Papst Paul VI. hat sich 1964 mit dem Patriarchen Athenagoras getroffen und so einen wichtigen Schritt der Annährung der orthodoxen und der katholischen Kirche getan. Und Willy Brand hat mit seinem Besuch in Warschau im Jahr 1970 sicher auch einen Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Einheit gesetzt. Mit solchen Aktivitäten kann man die Einheit natürlich nicht machen. Mit Sicherheit aber kann man Voraussetzungen schaffen, auf denen die Einheit dann wachsen kann. Sich beschenken lassen und etwas dafür tun schließen sich nicht aus.

 

Verzicht und Entgegenkommen
Die gegenseitige Wertschätzung, die ich dem anderen entgegenbringe, ist sicher ein großartiges Geschenk, das viel zur Einheit beiträgt. Doch es gibt noch andere Geschenke, die mit Geben erst einmal nicht viel zu tun haben.

Schon als Kind habe ich erfahren, dass ich in der Familie auch auf manches verzichten und Kompromisse schließen musste. Das habe ich bei meinen Eltern erlebt, dann bei meinen Geschwistern und auch bei mir. Sicher war dieser Verzicht am Anfang nicht freiwillig, sondern eher erzwungenermaßen. Aber später durfte ich erleben, dass dieses Entgegenkommen und Verzichten auch dazu beigetragen hat, dass wir als Familie zusammengewachsen sind und heute noch in gutem Kontakt zueinander stehen.

Einen ganz aktuellen Stellenwert bekommen Entgegenkommen und Verzicht beim Zusammenwachsen unserer Pfarreien. Hier ist häufig ein Verzicht notwendig, z.B. bei der Wahl einer Kirche zur Pfarrkirche oder beim Neuverteilen finanzieller Ressourcen. Wenn da nur ängstlich geschaut wird, dass ich ja nicht zu kurz komme, kann Einheit niemals wachsen. Erst wenn mir gemeinsame Ganze wichtiger wird als die eigenen Interessen, kann die eine Pfarrei entstehen.

 

Dankbarkeit: die Einheit bewahren

Einen geschenkten Blumenstrauß stellt man ins Wasser, um die Blumen lange frisch zu halten. Mit einem geschenkten Fahrrad gehe ich sorgsam aus, um lange damit fahren zu können. Geschenke wollen gepflegt werden. Das ist sicher die schönste Form, um Geschenke wert zu schätzen und dem Geber der Geschenke zu danken. Das gilt für die deutsche Einheit, die uns vor 30 Jahren geschenkt wurde. Das gilt auch für die Einheit der Christen, um die wir uns weiterhin mühen. Und das gilt sicher auch für die Einheit in einem Konvent, einer Ordensgemeinschaft, einem Presbyterium, einer Gemeinde.

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

 

07.10.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

 

Meine Schritte auf dem Weg zur Einheit

Meine Schritte auf dem Weg zur Einheit

Im Laufe der vielen Gedanken, die wir uns jetzt schon zum Thema „Einheit“ gemacht haben, ist eines ganz klar geworden. Einheit ist nicht etwas, was da ist. Einheit sind Beziehungen, die entstehen, die wachsen und vertieft werden können, und mit denen man achtsam umgehen müsse, damit sie nicht verloren gehen (s. auch den Brief von Sr. Sybilla). Daher möchte ich heute mit Ihnen darüber nachdenken, wie die Einheit entstehen und vertieft werden kann.

 

Einheit fängt bei mir an

Es gibt eine Erkenntnis, die wir im Laufe unseres Lebens machen – der eine früher, der andere später, und die oft sehr schmerzlich ist: Ich kann mir meine Mitmenschen nicht backen, d.h. sie mir so zurechtbiegen, wie ich sie gern haben möchte. Das würde höchstens mit Gewalt gehen und rächt sich oft bitter. Die Weltgeschichte kennt dafür zahlreiche Beispiele, und auch viele Menschen können von diesen Erfahrungen erzählen: Eltern, Lehrer, Seelsorger. Das ist auch eine wichtige Erkenntnis für jede Gemeinschaft. Ich kann die Einheit nicht machen, indem ich die Anderen durch Vorschriften und Regeln zu einem gemeinsamen Tun anhalte.

Ich kann nicht die Anderen verändern. Veränderung kann nur bei mir selbst beginnen. So beginnt auch der erste Schritt zur Einheit bei mir selbst.

 

Einheit wächst schrittweise

Eines der bekanntesten Gleichnis Jesu ist das Gleichnis von den Samenkörnern. Die Natur braucht viel Zeit, um zu wachsen und Früchte zu bringen. Was für die Natur gilt, gilt auch für das Leben der Menschen. Dazu zwei aktuelle Beispiele:

– Deutsche Einheit

Zum Thema Einheit können wir viel aus der deutschen Geschichte lernen. Eine von diesen Erfahrungen ist, dass Einheit sich nur langsam entwickelt. Nach der Zeit der Abgrenzung im „kalten Krieg“ folgte in Deutschland eine Politik der Annäherung der beiden deutschen Staaten. Und es war ein langer Weg, der zur Wiedervereinigung geführt hat.

– Ökumene

Ähnliche Erfahrungen gibt es auch im Bereich der Ökumene. Auch hier gibt es viele Bemühungen um die Annäherung der beiden großen christlichen Konfessionen.

Vor allem wird deutlich, dass diese Annäherung von unten geschieht. Menschen lernen einander kennen, entdecken die liebenswerten Seiten und Stärken des Anderen und können so Trennungen und Spaltungen überwinden.

 

Einheit kostet etwas

Kennen Sie den Spruch: „Was nichts kostet, ist auch nichts wert.“ So ganz viel halte ich nicht von diesem Spruch. Es ist so ähnlich wie die irrige Meinung, dass Medizin bitter schmecken muss, wenn sie helfen soll. Doch bei der Einheit würde ich schon sagen, dass ihren Preis hat. Was kostet die Einheit?

 

 

Erinnerungen an die Schulzeit: Manche Kinder haben das Lesen und Rechnen schneller gelernt, manche Kinder brauchten länger dazu. Unsere Lehrerin hatte oft viel Geduld aufgewandt, damit auch die Schwächeren nachkommen und die Klasse nicht in zwei Gruppen gespalten wurde.

Erfahrungen bei einer gemeinsamen Wanderung: die Schnellen in der Gruppe mussten immer wieder warten, damit wir als Gruppe gemeinsam das Ziel erreichen konnten.

Geduld, Rücksichtnahme, die dazu notwendige Demut … das sind wichtige Schritte auf dem Weg zur Einheit.

 

Ein Stück von dir hergeben

Der schönste, aber sicher auch teuerste Preis für die Einheit möchte ich Ihnen mit der Geschichte vom Salzmännchen erzählen.

Ein Salzmännchen kam auf seiner Wanderung durch die endlosen Wüsten schließlich ans Meer. Es hatte das Meer noch nie gesehen und stand ganz fasziniert davor. Es war beeindruckt von der Kraft seiner Wellen und spürte die Frische, die von ihm aus ging.

„Guten Tag!“ sagte das Salzmännchen. – „Guten Tag,“ antwortete das Meer. Wer bist du?“ fragte das Salzmännchen. -„Ich bin das Meer,“ antwortete dieses. „Was heißt das?“ fragte das Salzmännchen. „Ich kenne dich noch nicht.“  – „Wenn du mich kennen lernen willst, musst du näher kommen.“

Das Salzmännchen ging also ein Schritt näher heran, und dann noch einen Schritt und noch einen, bis es mit einem Fuß im Wasser stand. Und tatsächlich: auf einmal spürte es die herrliche Frische des Meeres und seine Kraft. Als es aber wieder aus dem Wasser herausging und auf seinen Fuß schaute, war der Fuß weg.

„Was hast du mit meinem Fuß gemacht?“, fragte das Salzmännchen ganz aufgeregt?“ Aber das Meer blieb ganz ruhig: „Wenn du mich kennen lernen willst, musst du ein Stück von dir hergeben.“  – „Wenn du  mich kennen lernen willst, musst du ein Stück von dir hergeben,“ wiederholte das Salzmännchen, um es sich gut zu merken. Und wieder setzte es einen Fuß in das Meer, und dann den anderen, und immer weiter und weiter ging es hinein und hatte dabei das beglückende Gefühl, das Meer immer besser kennen zu lernen.

(aus dem Chinesischen)

Wenn du mich kennenlernen willst, musst du etwas von dir hergeben … das gilt für das Entstehen und Wachsen von Beziehungen, das gilt auch für die Einheit einer Gemeinschaft.

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

 

13.09.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

Einheit, die dem Leben dient

Einheit, die dem Leben dient

Gefangen

Fischernetz – Erinnerungen an meine Kindheit werden wach. Wenn ich mit meiner Mutter auf dem Markt Fisch einkaufen ging, kam der Fischhändler mit einem Netz, tauchte das Netz einmal durch das Becken, und schon zappelte ein Fisch im Netz, der sich nicht mehr daraus befreien konnte. Mir tat der Fisch leid.

Psalm 124,7-8: Israels Dank für die Befreiung. „Unsere Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.“ Netze als Symbol für gefangen sein.

War dies die Intention Jesu, wenn er den Petrus aufforderte: „Du sollst Menschenfischer werden“?  Frage an unsere Seelsorge: wollen wir Menschen einfangen (auch für Christus), die dann nicht mehr entkommen können …?

 

Die Natur als Baumeister

Wenn ich etwas über Netzwerke lernen möchte, würde ich als erstes einen Blick in die Natur werfen. Ein Netzwerk, vor dem sich allerdings viele ekeln, ist das Spinnennetz. Ein grandioses Netzwerk ist z.B. das menschliche Gehirn. Unterschiedliche Zellen stehen miteinander in Verbindung, bilden Knotenpunkte (Synapsen), sorgen für einen reibungslosen Transport von Informationen und Steuerungsimpulsen und reagieren sogar beim Ausfall bestimmter Funktionen durch die Bildung neuer Nervenbahnen und Schaltstellen.  Ein genialer Geist muss das gewesen sein, der solche Netzwerke geschaffen hat. Wäre ein solches Netzwerk auch denkbar für die Weitergabe unseres christlichen Glaubens?

 

Eine gemeinsame Grundidee

Wie entsteht ein Netzwerk?

Voraussetzung für das Funktionieren eines Netzwerkes ist eine gemeinschaftliche Orientierung an einem verbindlichen, starken und nachvollziehbaren Wertemuster (Basiswerte). Wie schnell haben sich damals bei den Flutkatastrophen an Elbe und Oder Netzwerke gebildet, um den betroffenen Menschen helfen zu können. Der Einsatz für Menschen in Not – kann so eine gemeinsame Grundidee sein.

Haben wir so eine gemeinsame Grundidee? Könnte Caritas so eine gemeinsame Grundidee sein: „Not sehen und handeln“? Oder könnten Erzählungen aus dem Evangelium Jesu Christi so eine gemeinsame Grundidee sein, aus der sich dann ein Netzwerk bildet.

 

Kommunikation

Viele Menschen behaupten von sich, dass sie gut vernetzt sind. Sie verweisen dann auch ihr Adressverzeichnis im Kalender oder in den sozialen Medien. Doch Kommunikation ist mehr als ein Kennen von Personen. Kommunikation bedeutet, mit dem anderen in einer lebendigen Beziehung zu stehen. Eine solche Kommunikation schafft Transparenz und damit Vertrauen. Kommunikation ist also eine wichtige Grundlage für die Einheit.

 

 

 

Dem Leben dienen

Kommunikation setzt eine Begegnung auf Augenhöhe voraus. An dieser Stelle wird häufig argumentiert, dass in einem hierarchischen System wie die Kirche eine solche Kommunikation auf Augenhöhe nicht gegeben sei. Auch hier kann der Blick in die Natur weiterhelfen. Die Natur kennt in ihren Systemen durchaus Über- und Unterordnungen. Dennoch funktioniert eine Kommunikation in ihren Organismen, weil sie dem Leben dient. Das Bild des Apostels Paulus vom menschlichen Leib und seinen Gliedern (1 Kor 12) zeigt sehr gut, wie ein Gelingen von Kommunikation in einem hierarchischen System möglich ist – wenn es dem Leben dient.

 

Unser Doktor

Geschichte erzählen: Das höhere Gesetz

Geschichte in Gruppen besprechen lassen: Eindrücke, Erkenntnisse …

Durch das Tun von Kurt hat sich ein Netzwerk gebildet, mit dem sich viele Menschen identifiziert haben.

 

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

 

09.08.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

Den anderen groß (größer) machen Bewahrung und Vertiefung der Einheit – ganz konkret

Den anderen groß (größer) machen Bewahrung und Vertiefung der Einheit – ganz konkret

 

Sie erinnern sich sicher noch an den Brief von Sr. Sybilla und damit auch die Worte des Stifters Pfarrer Johannes Schneider. Einheit ist eine Beziehung. Sie ist nicht von vorn herein einfach da. Sie muss aufgebaut und gepflegt werden. Und sie unterliegt auch den Gesetzen, denen jede Beziehung unterliegt, nämlich sie kann sich verändern. Sie kann stärker werden, sie kann aber auch abflachen und ganz verschwinden. Das gilt für jede Gemeinschaft (Staat, Kirche, Pfarrei), das gilt auch für persönliche Gemeinschaften wie Familien und Freunde, und selbstverständlich auch für Ordensgemeinschaften. Das Versprechen eines Gelübdes oder das Tragen eines einheitlichen Ordenskleides macht noch keine Einheit aus. Einheit ist also eine innere Beziehung, die die Menschen miteinander verbindet.

 

Wachsen der Einheit konkret

Ich möchte Ihnen heute dazu ein paar geistlichen Impulse mitgeben, die Sie für sich persönlich betrachten und ausprobieren können.

Schon jetzt als Vorbemerkung: fangen Sie behutsam damit an, wenn Sie sich dazu entschließen. Solche konkreten Übungen können sehr anspruchsvoll, aber auch sehr wirkungsvoll sein.

 

Mein rechter Platz ist leer …

Sie kennen sicher das Kinderspiel, wo ein Kind auf den freien Platz neben sich jemanden wünschen darf. Natürlich haben wir uns damals unsere besten Freunde her gewünscht.

Einheit beginnt mit dem Wahrnehmen. Nehmen Sie doch mal den Platz neben sich (egal ob rechts oder links) zum Thema Ihrer Betrachtung. Wer hat heute neben mir (in der Bank in der Kapelle oder am Tisch beim Mittagessen)? Habe ich mit meiner Nachbarin geredet, sie angeschaut, sie angelächelt? Weiß ich, wie es ihr geht, ob sie etwas bedrückt, ob sie Schmerzen hat? Oder muss ich für mich sagen, dass der Platz neben mir wirklich leer ist, zumindest in dem Sinn, dass es mir eigentlich egal ist, wer da sitzt.

 

Sammelt euch Schätze im Himmel

In seinen Gleichnissen gebraucht Jesus mehrfach das Bild vom Schätze sammeln. So vergleicht er das Reich Gottes mit einem Schatz im Acker oder einer kostbaren Perle (Mt 13,44-46). Und in der Bergpredigt fordert er uns auf, Schätze zu sammeln, die nicht vergänglich sind (Mt 6,19-21). Das Bild vom Schätze sammeln ist ein beliebtes Thema für Einkehrtage oder Exerzitien.

Ich möchte Sie anregen, Schätze ganz konkret in Ihrer eigenen Gemeinschaft zu suchen. Ein Schatz macht einen Menschen reich. Wer bereichert Ihre Gemeinschaft? Was wäre, wenn es diese Schwester nicht mehr geben würde? Würde uns etwas fehlen.

 

Eine andere Gerechtigkeit

Der folgende Gedanke ist etwas schwierig, schon deshalb, weil wir Menschen in der Regel darin sehr empfindlich sind: es geht um die Gerechtigkeit. Einheit bedeutet, dass für alle gleich behandelt werden und für alle die gleichen Regeln gelten. Darauf haben wir als Jugendliche in der Familie und in der Schule peinlichst geachtet. Wenn wir das Gefühl hatten, dass jemand vorgezogen wurden, empfanden wir dies als ungerecht und forderten Gerechtigkeit. Grundsätzlich möchte ich von dieser Haltung auch nicht abgehen. Es gehört zur Bewahrung einer Gemeinschaft und ihrer Einheit dazu, dass es verbindliche Regeln gibt, die dann auch für alle gelten, und die alle eint.

Doch spätestens das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) lässt einen nachdenklich werden. Einige Arbeiter meutern: Das ist ungerecht. Doch mit welchem Lohn werde ich allen gerecht? – eine Frage, mit der sich Eltern, Lehrer, Vorgesetzte usw. immer wieder auseinandersetzen müssen.

Eine schöne Antwort dazu habe ich in der Geschichte von Jan und dem Großvater gefunden. Stefanie hat eine kostbare Kette verloren, und Jan findet, dass sie bestraft werden müsste. Für ihn ist es nicht gerecht, dass der Großvater Stefanie verzeiht. Doch der Großvater mit seiner reichen Lebenserfahrung weiß mehr. In einer solchen Welt möchte er nicht leben, da würde er frieren (eine fantastische Bildersprache).  Haben Sie das Gefühl, in Ihrer Gemeinschaft zu frieren? Und könnten Sie von dem Großvater etwas lernen zum Thema Einheit?

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

15.07.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

 

Der Wert einer Gemeinschaft

Der Wert einer Gemeinschaft

Beginnen Sie mit einer geistlichen Übung. Fragen Sie sich: Welchen Wert hat für Sie eine Gemeinschaft, oder noch konkreter: welchen Wert hat für Sie diese Gemeinschaft, in der Sie jetzt leben oder in der Sie früher gelebt haben? Und ich sage Ihnen gleich: Betrachten Sie diese Frage nicht nur in der Theorie, sondern im praktischen Alltagsgeschehen.

Ich denke, dass das Bemühen um Einheit wesentlich davon abhängt, welchen Wert Sie der Gemeinschaft zumessen. Wenn die Gemeinschaft für Sie ein Wert bedeutet (und das nicht nur auf dem Papier einer Konstitution, sondern im Alltag), dann werden Sie auch dem Anliegen des Stifters Pfr. Johannes Schneider nachkommen und die Einheit suchen und vertiefen wollen.

 

1+1+1=3

Warum schließen sich Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen?

Es gibt viele und gute Gründe, die für den Zusammenschluss zu einer Gemeinschaft sprechen:

– Stärke in der Gemeinsamkeit

Sehr schnell können Frauen und Männer von Aufgaben, Schwierigkeiten und Not überfordert werden. Die Erfahrung, nicht allein zu sein, stärkt jeden in seinem Tun. Gemeinsam kann man mehr bewegen als allein.

– Vielfalt in der Verschiedenheit

In unserem Leben spielt die Kreativität eine große Rolle. Dies gilt für die Gestaltung des alltäglichen Lebens wie auch für das Lösen von Problemen. Deshalb werden häufig Arbeitsgruppen gebildet. Eine Gemeinschaft ist ein guter Raum, in dem Ideen wachsen und zur Entfaltung gebracht werden können.

– Freude in der Gemeinschaft

Durch das Zusammenschließen (z.B. bei Sport und Spiel, beim Erleben der Natur, beim Musizieren und Singen, auf Reisen) erleben Menschen viel Freude.

All diese Erfahrungen lassen sich kurz auf einen Nenner bringen: Gemeinschaft stärkt und hilft dem Einzelnen.  Oder mathematisch ausgedrückt: 1+1+1=3

 

Mehr als die Summe der Einzelnen

Die eben genannten Kriterien sprechen für eine Gemeinschaft, sind aber nicht unbedingt zwingend für eine solche. Jeder einzelne könnte auch ohne die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft leben, auch ein geistliches Leben. Das kann man auch sehen und erleben: dass eine Gemeinschaft lediglich gesucht und gelebt wird, wenn ich Bedarf (z.B. Unterstützungsbedarf) habe. – Ich wage aber zu behaupten, dass dies allein nicht ausreicht in dem Bemühen um Einheit. Das geht nur, wenn ich in der Gemeinschaft ein „mehr“ sehe, das für mich wertvoll und erstrebenswert ist.

 

Der Wert der Kommunikation

Bei Eheseminaren wurden folgende Übungen durchgeführt: Jedes Paar sollte mit schon beschrifteten Bausteinen ein Haus bauen. Was ihnen wichtig war, wurde in das Fundament gelegt, was ihnen unwichtig erschien, kam auf den Bauschutt. Im Anschluss wurden die Häuser vorgestellt. Viele Paare haben dabei berichtet, dass nicht die Darstellung des fertigen Hauses das entscheidende war, sondern die beim Bau des Hauses stattgefundene Kommunikation besonders wertvoll empfunden haben.

 

Der Wert des Überflüssigen

Die Verlockung ist groß, im Leben das notwendige vom nicht-notwendigen zu unterscheiden und sich von allem, was nicht notwendig ist, zu trennen: Das brauche ich nicht, das ist überflüssig.

Dazu ein interessantes Experiment. Sie bauchen zum Stehen wenige Quadratzentimeter Erde, auf die Sie Ihre Füße gesetzt haben. Würde man Ihnen aber die Erde (besser: den Boden) ringsherum entziehen, würde Ihnen schnell schwindlig werden, und Sie würden Angst bekommen. Auch wenn ich den Boden um mich herum nicht zum Stehen brauche, geben sie mir doch Halt und sind wichtig.

Geistliche Übung: Sammeln Sie doch mal in einer Tabelle (mit 2 Spalten), was unbedingt notwendig ist, und was erst einmal nicht unbedingt notwendig ist. Und dann gehen Sie mal in die zweite Spalte (nicht notwendig), und prüfen Sie mal, welchen Wert diese Dinge für Sie haben.

 

Der Wert der Anderen

Die stärkste Motivation für den Wert der Gemeinschaft scheint mir immer noch die Wertschätzung des Einzelnen zu sein. Das Beitreten zu einer Gemeinschaft ist oft von der Wertschätzung eines Anderen geprägt. Übrigens haben auch Berufungsgeschichten häufig ihren Ursprung darin, dass ich einen Menschen schätzen und lieben gelernt habe.

 

Suchen und Vertiefen der Einheit

Der Wert, den ich in der Gemeinschaft sehe, ist eine gute Motivation, sich um Einheit zu bemühen und sie vertiefen. Provokativ gesprochen: wer in der Gemeinschaft lediglich einen Zweckverband sieht, wird jede Gelegenheit nutzen, aus der Gemeinschaft innerlich und vielleicht auch äußerlich herauszutreten. Umkehrt aber kann der Wert, den für mich eine Gemeinschaft hat, meine eigene Identifikation mit der Gemeinschaft fördern und meinen Beitrag zur Einheit vertiefen. Oder noch einmal mathematisch ausgedrückt: 1+1+1=4.

 

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

17.06.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

Armut

Armut

Vor Jahren habe ich bei einem Kapitel ein Impulsreferat zum Thema „Evangelischer Rat – Armut“ gehalten. Da die evangelischen Räte eine wesentliche Grundlage unseres geistlichen Lebens sind, hoffe ich, der einen oder dem anderen damit ein Impuls oder eine Hilfe für das eigene geistliche Leben geben zu können:

Alle drei evangelischen Räte – und in diesem Fall speziell die Armut – sind kein Selbstzweck, sondern sie sind Ausdruck des im Neuen Testament verheißenen „Leben in Fülle“ (Joh. 10,10). Das bedeutet, sie sollen, wie Sr. Zoe Marie Isenring in ihrem Buch „Die Frau in apostolisch-tätigen Ordensgemeinschaften“ schreibt, „Mittel zu mehr und nicht weniger Menschsein“ sein.

Für mich klingt das zunächst provozierend und wirft einige Fragen auf:

  1. Materielle Armut als solche ist für mich kein Wert, den es anzustreben gilt, sondern sie ist ein Unrecht, dem wir im Auftrag Gottes Abhilfe verschaffen sollen. Gott will für alle Menschen die Fülle, d. h. auch die Überwindung der Armut. Da wir diese Ungerechtigkeiten nicht mit Gewalt – also neuer Ungerechtigkeit – verändern können, verpflichtet uns dieser Aspekt der Armut zu einer einfachen und anspruchslosen Lebensform, zu einem verantwortlichen Umgang mit dem Eigentum und wird zur Pflicht des Teilens aus Solidarität mit den Menschen, weil ihnen das Nötigste fehlt. So verstandene Armut wird für die Gemeinschaft der Menschen zum Mittel zu mehr Menschsein – zum Mittel für eine gerechtere Welt. Fragen wir uns als einzelne und als Gemeinschaft:                                                                                                                                                                                                                                                                                  – Wie einfach und anspruchslos ist mein Lebensstil?                                                                                                                                                                                                                                                          – Wird mein Lebensstil und das Leben der Gemeinschaft zum Zeichen oder zum Stein des Anstoßes?                                                                                                                                                     – Sind wir für die Menschen diejenigen, die das Gelübde der Armut feierlich ablegen und jetzt recht behaglich leben und die Menschen draußen dagegen diejenigen, die die Armut leben, ja leben müssen?
  2. Armut hat immer auch mit Verzicht zu tun. Bewusster und freier Verzicht gehören untrennbar zur Armut. Wo dieser Aspekt fehlt, wird das Gelübde zur leeren Worthülse und unser Leben wird unglaubwürdig. Aber Armut darf auch nicht nur auf Verzicht reduziert werden. Wir sind als freie und geliebte Töchter Gottes geschaffen und Gott hat uns die Dinge dieser Welt zum Gebrauch geschenkt. Wir dürfen sie in Freude und Verantwortung gebrauchen. Das Gelübde der Armut entbindet mich und jede einzelne von uns nicht von unserer Verantwortung für das je eigene Leben. Nicht die Oberin ist für mein Leben verantwortlich und auch nicht dafür, dass ich so viele Dinge im Leben nicht bekommen habe oder darauf verzichten musste! Ich bin von Gott in Freiheit geschaffen und als freier Mensch gewollt. Auch und gerade als Ordensfrau. Nur wenn ich mich selbst als geliebt und gewollt sehen und die Dinge dieser Welt als Geschenk annehmen kann, bin ich in der Lage, mich selbst und alles loszulassen, weiter zu schenken und zu verzichten.                                                                        Fragen wir uns als einzelne und als Gemeinschaft:                                                                                                                                                                                                                                               – Erlebe ich mich als von Gott geliebte Tochter?                                                                                                                                                                                                                                                                   – Kann ich mich an den Dingen dieser Welt freuen?                                                                                                                                                                                                                                                           – Kann ich sie als Geschenk sehen oder muss ich alles haben?                                                                                                                                                                                                                              – Kenne ich den Unterschied zwischen einem unersättlichen „Haben-wollen“ und einem guten „Mir etwas gönnen“?                                                                                                                                     – Kann ich auch den anderen etwas abgeben, ihnen gegenüber großzügig sein?                                                                                                                                                                                                       – Kann ich verzichten, ohne bitter oder griesgrämig zu werden?
  3. Das Gelübde der Armut hat nur Sinn und Wert, wenn es nicht nur eine äußere Lebensform, sondern eine innere Haltung Nur wenn ich mein Herz nicht an die Dinge dieser Welt hänge, bin ich wirklich frei für die Nachfolge Christi. Das stellt mich aber dann vor die Frage: Woran hängt mein Herz? Worauf vertraue ich? Traue ich diesem Gott wirklich oder muss ich für mich selber sorgen? Das ist wohl der wesentlichste, aber auch schwerste Aspekt des Armutsgelübdes. Nur wer in diesem Sinne arm ist, ist jederzeit frei für den Anruf Gottes und kann ihm – ohne hinderliches Marschgepäck – folgen. Hier geht es nicht nur um materielle Dinge, sondern z.B. auch um Positionen in der Gemeinschaft, im Beruf oder persönlichen Leben, die man sich erarbeitet hat, die aber schnell auch zum Reichtum werden können.                                                                                                                                                                                           Fragen wir uns als einzelne und als Gemeinschaft:                                                                                                                                                                                                                                                           – Woran hängt mein Herz?                                                                                                                                                                                                                                                                                                       – Traue ich Gott, dass ER mich führt oder habe ich Angst vor Ihm und seinen Forderungen?                                                                                                                                                                                 – Muss ich mein Leben absichern und deshalb alles haben oder behalten?                                                                                                                                                                                                                   – Wie reich oder arm bin ich wirklich?                                                                                                                                                                                                                                                                                   – Was kann oder will ich nicht loslassen: das Amt oder die Aufgabe, die ich schon so lange innehabe; den Konvent, in dem ich mich so wohl fühle; die Position, die mir so viel Ansehen gebracht hat…?

Zum Gelübde der Armut gäbe es noch viel zu sagen. Doch sie sollen nur ein kleiner Impuls zum Nachdenken sein und uns helfen, das Gelübde der Armut neu und tiefer zu verstehen und zu leben.

Sr. Petra Ladig