Der Heilige Geist als Lehrmeister der Einheit

Der Heilige Geist als Lehrmeister der Einheit

Die vielen Gnadengaben und der eine Geist

In seinem 1. Korintherbrief beschreibt der Apostel Paulus das Leben der Gemeinde dort mit den vielen verschiedenen Gnadengaben, die dort zu finden sind, und die zur Einheit verbunden sind durch den einen Geist.

In wenigen Tagen feiern wir Pfingsten. Kann der Heiligen Geist unser Lehrmeister werden, um unsere Einheit zu bewahren und zu vertiefen?

 

Sprachen lernen

Immer wieder begeistert mich die Erzählung vom Pfingstfest in Jerusalem. Mutig und begeistert haben die Apostel von Jesus, dem Auferstandenen erzählt. Und die Apostelgeschichte berichtet: alle konnten sie in ihrer Sprache verstehen. Wie konnte ein Römer, ein Araber oder ein Ägypter einen Juden verstehen? Man kann dies schnell als ein Wunder des Heiligen Geistes abtun. Ein Wunder – dem würde ich zustimmen, aber abtun würde ich es nicht, ganz im Gegenteil. Ich würde von diesem Wunder lernen wollen. Kann ich das auch: in einer Sprache reden, die der andere versteht?

 

Babylon

Die gleiche Sprache – und doch nicht verstehen (wollen)

Wir haben es doch in unserer eigenen Geschichte erlebt: Menschen benutzen das gleiche Wort (z.B. Frieden, Freiheit, Menschenwürde), und meinen etwas ganz anderes. Daraus entstehen Meinungsverschiedenheiten, Konflikte, Krieg.

 

Pfingsten

Eine fremde Sprache – und doch kann ich den anderen verstehen

Doch das andere gibt es auch. Da wollen Menschen aufeinander zugehen, wollen einander verstehen, weil sie von der gleichen Idee – vielleicht auch von dem gleichen Geist – beseelt sind, und es entsteht eine Gemeinschaft. Pfingsten ist also auch heute möglich. Auch heute bewirkt Gottes Geist, dass Menschen einander verstehen wollen und können, und führt sie so zu Einheit.

 

Du bist mein geliebter Sohn (geliebte Tochter)

Der Hl. Geist wird häufig als die Liebe bezeichnet, die Gott Vater mit dem Sohn verbindet. Dies wird sehr eindrucksvoll bei der Taufe Jesu dargestellt. In allen 4 Evangelium wird von der Taufe Jesu im Jordan berichtet. Und in allen Berichten wird der Geist Gottes erwähnt, der in Gestalt einer Taube von oben herabkam. Und eine Stimme sprach: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.

 

An dir habe ich mein Wohlgefallen gefunden. – Mit diesem Satz wird die tiefe, liebende Beziehung zwischen Jesus und seinem Vater ausgedrückt.

Nehmen Sie die Erzählung von der Taufe Jesu in ihre geistliche Betrachtung! Dazu einige Fragen: Hat Gott schon einmal so zu Ihnen gesagt? Wann? Direkt oder durch einen anderen Menschen? Mit welchen Worten oder auf welche Weise? – Haben Sie diesen Satz zu anderen gesprochen? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

 

 

Alle sollen eins sein

Das Thema „Einheit“ ist neben der Liebe ein wichtiges Thema in den Abschiedsreden Jesu (Joh 15-17), aus denen wir in den Wochen vor Pfingsten oft im Evangelium hören.

In seinen Abschiedsreden, in denen Jesus seinen Jüngern auch den Heiligen Geist verheißen hat, bittet Jesus für die Jünger: „Alle sollen eins sein, wie du, Vater, in mir und ich in dir“ (Joh 17,21). Jesus bittet um die Einheit seiner Jünger, d.h. damit auch um die Einheit der Kirche und aller ihrer Glieder. Das ist bei ihm mehr als ein frommer Wunsch. Seine Bitte um Einheit hat zwei Ziele:

 

damit die Welt glaubt (Joh 17,21)

Der Jesuit Alfred Delp hat es kurz vor seiner Hinrichtung einmal ganz deutlich gesagt: „Wenn die Kirche noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumutet, ist sie abgeschrieben.“ Mit anderen Worten: dann ist sie nicht mehr glaubwürdig. Umgekehrt können Christen, die in der Einheit leben, andere nachdenklich machen und zum Glauben an Jesus Christus bringen.

 

Damit sie deine Herrlichkeit sehen (Joh 17,22.24)

Schon in den früheren Monatsvorträgen haben wir gesehen, wie ein Bemühen und Vertiefen der Einheit das Leben der Menschen zum Positiven verändern und damit auch glücklich machen kann. Am deutlichsten ist dies beim Thema Versöhnung zu erleben.

 

Keiner soll verloren gehen

In den Abschiedsreden Jesu findet sich noch eine weitere Bitte um Einheit. Da bittet Jesus, dass alle eins sein sollen (Joh 17,11).  Und er fügt hinzu, dass keiner verloren gegangen ist (Joh 17,12). Damit bezieht sich Jesus auf eine frühere Aussage: „Es ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse“ (Joh 6,39).

Diese Bitte Jesu kann man grundsätzlich auf das ewige Leben beziehen; also mit anderen Worten: Jesus möchte, dass alle Menschen gerettet werden und in den Himmel kommen.

Doch man kann diese Bitte auch schon auf Erfahrungen im Alltag beziehen: ich will, dass keiner fallengelassen oder abgeschrieben wird. Mit dieser Haltung ist Jesus den Menschen begegnet. Es gab durchaus viele, die von der damaligen Gesellschaft und auch von den Vertretern der Religion abgeschrieben und gemieden wurden: Zöllner, Kranke, Fremde, Aussätzige, Ehebrecher. Mit denen wollte niemand Gemeinschaft haben, deren Einheit war zerbrochen. Jesus hat sich diesen Menschen zugewandt, damit auch oft Anstoß erregt. Doch die Menschen haben gespürt, dass er sie nicht abgeschrieben hat. In seinen Augen (d.h. in den Augen Gottes) waren diese Menschen wertvoll. Und diese Zuwendung hat oft ihr Leben verändert.

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

 

10.05.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

Sie hatten alles gemeinsam

Sie hatten alles gemeinsam

Liturgie als Lehrerin der Einheit

Schon mehrfach haben wir uns daran erinnert, dass Einheit nicht ein gemeinsames äußerliches Merkmal, sondern eine lebendige Beziehung ist. Daher auch die Mahnung des Stifters, die Einheit zu bewahren und zu vertiefen. Wie kann man diese Einheit erhalten und vertiefen?

Eine gute Antwort hat uns die Fastenzeit gegeben. Das Thema im März: Versöhnung (2. Lesung vom Aschermittwoch: „Lasst Euch mit Gott versöhnen!“ 2 Kor 5,20ff).

Auch die Osterzeit bietet einen wichtigen Impuls für unsere Frage, wie man die Einheit bewahren und vertiefen kann. So möchte ich heute den Vortrag mit einem Satz aus der Apostelgeschichte überschreiben: Sie hatten alles gemeinsam (1. Lesung 2. Ostersonntag Lesejahr B): „Sie hatten alles gemeinsam“ Apg 4,32-37)

 

Ein Herz und eine Seele

Der Text (Apg 4,32-37) beginnt mit diesem wunderbaren Satz: „Sie waren ein Herz und eine Seele.“ So etwas sagt man manchmal, wenn zwei Menschen eine tiefe und innige Freundschaft verbindet. Diese Beschreibung verwendet der Apostel Lukas, um in der Apostelgeschichte das Leben der jungen urchristlichen Gemeinde zu beschreiben. Ein schöner Ausdruck, um Einheit zu beschreiben.

Frage zum Nachdenken: Gab oder gibt es Menschen, mit denen Sie sozusagen „ein Herz und eine Seele“ sind oder waren? Wie haben Sie diese Zeiten erlebt? Wie würden Sie dies beschreiben (die gleichen Interessen, die gleichen Ansichten, Sympathie, gemeinsam verbrachte Zeiten …)? Oder haben Sie noch andere Erfahrungen mit diesem Satz gemacht?

 

Teilen

Lukas geht weiter. Für ihn bedeutet dieser Satz: „sie waren ein Herz und eine Seele“ mehr als die Übereinstimmung von Ansichten und Interessen oder ein Gefühl von Sympathie. Lukas wird ganz konkret: da verkauft jemand seinen Besitz und stellt den Erlös den Anderen zur Verfügung. Teilen ist das Stichwort. Ich teile, was ich habe, mit den Anderen, und so entsteht eine communio, eine Einheit.

 

Was ich habe, das gebe ich dir

Im Kapitel davor (Apg 3,1-10) heilen Petrus und Johannes einen Gelähmten, der vor dem Tempel bettelte. Petrus baut eine Beziehung zu ihm auf „Sieh uns an!“ Danach erteilt er dem Bettler eine Absage: „Silber und Gold besitze ich nicht.“ Und dann kommt seine Zusage: „Was ich habe, das gebe ich dir.“

 

Das Leben teilen

In der Apostelgeschichte wird zunächst davon berichtet, dass hier materielle Dinge geteilt werden. Doch bald kann man erahnen, dass nicht nur materielle Dinge geteilt wurden. Der Satz „Keiner unter ihnen litt Not“ lässt vermuten, dass hier auch seelische Nöte gemeint sein könnten. Da ist jemand, einsam, krank, traurig … und die Anderen lassen ihn nicht mit seiner Not allein, sondern teilen mit ihm, was sie haben: Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld.

 

Kritisieren oder ausprobieren

Dieser Abschnitt vom Leben der jungen christlichen Gemeinde wird oft mit Skepsis betrachtet: Ob es wirklich so war oder vom Schreiber doch etwas zu sehr idealisiert wurde? Und außerdem war es eine kleine Gemeinschaft. In unseren heutigen Gemeinden wäre das bei dieser Größe so nicht denkbar …

Mag sein, aber das hindert uns doch nicht daran, dies einmal auszuprobieren. Ich vermute, es wird nicht gleich Ihr ganzes Leben umkrempeln, aber einiges wird sich doch verändern.

 

Mein Betrag zur Einheit

Einheit ist also nicht nur eine äußere Wirklichkeit, die ich vorfinde oder in die ich hineingestellt werde. Einheit entsteht und lebt davon, dass ich meinen Beitrag leisten kann, um sie erhalten und vertiefen.

Geistliche Übung: Welchen Beitrag leiste ich, damit die Einheit in der Gemeinschaft erhalten und vertieft werden kann. Was bin ich bereit zu geben?

 

… damit die Hochzeit stattfinden kann

Es gibt eine Geschichte, in der zwei junge Menschen heiraten wollen. Weil die beiden aber so arm sind, können Sie sich eine große Hochzeitsfeier nicht leisten. So bitten sie jeden der Gäste, eine Flasche Wein mitzubringen. Der Inhalt der Flaschen wurde in ein großes Fass geschüttet, und als die Gäste daraus tranken, waren alle enttäuscht. Jeder hatte nur Wasser dazugegeben.

Bewahren und Vertiefen der Einheit … damit die Hochzeit (das Fest) stattfinden kann.

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

19.04.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

 

Lasst euch mit Gott versöhnen

Lasst euch mit Gott versöhnen

Einheit erhalten und vertiefen

Im letzten Monatsvortrag haben wir darüber gesprochen, dass Einheit keine äußerliche Angelegenheit ist, sondern eine innere Beziehung, die die Menschen miteinander verbindet. Wir haben gesehen, dass eine solche Beziehung immer wieder erneuert und vertieft werden muss. Deswegen wurden wir von Sr. Sybilla daran erinnert, wachsam zu sein, um diese Einheit zu erhalten und zu vertiefen. Heute wollen wir darüber nachdenken, wie dies konkret geschehen kann: die Einheit erhalten und vertiefen.

 

Bekehre uns … (GL 266)

In der österlichen Bußzeit – bei uns gängig als Fastenzeit bezeichnet – liegt für viele der Schwerpunkt auf Fasten und Verzicht. Das ist sicher auch nicht schlecht. Doch die Liturgie legt uns einen anderen Schwerpunkt nahe: eine Zeit der Bekehrung und Versöhnung. Wenn wir mit dem Aschenkreuz bezeichnet werden, spricht der Priester: Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium! Und in der 2. Lesung am Aschermittwoch haben wir die Mahnung des Apostels Paulus gehört: Lasst euch mit Gott versöhnen (2 Kor 5,20ff).

Das soll heute unser Thema sein: Versöhnung als ein Baustein der Einheit.

 

Verletzliche Beziehungen

Wie schnell Beziehungen im Alltag angegriffen oder sogar zerstört werden, kennen wir aus eigener Erfahrung. Rechthaberei, Egoismus, Eifersucht, Streit … verändern die Beziehungen und zerstören oft die Einheit. Das gilt für die Beziehungen untereinander wie auch für die Beziehung zu Gott.

 

Erlebte Sünde

Was ist Sünde? Das haben wir als Kinder im Beichtunterricht gelernt. Und anhand der 10 Gebote wurden konkrete Beispiele genannt: den Eltern nicht gefolgt, den anderen gehauen, ihm etwas weggenommen, gelogen …

Wie ist Sünde? Das haben wir im Beichtunterricht leider nicht gelernt. Doch im alltäglichen Leben haben wir es zu spüren bekommen. Wenn wir jemanden angelogen haben, sind wir ihm aus dem Weg gegangen. Das Wort Sünde und das Wort absondern haben den gleichen Wortstamm. In der Sünde wird die Einheit mit Gott sowie in deren Folge auch die Einheit untereinander zerstört. Die Geschichte der ersten Menschen (Adam und Eva, Kain und Abel) in Gen 3 und 4 sind ein eindrucksvolles Beispiel für die Zerstörung der Einheit. Und seit dem ersten Sündenfall müssen wir uns auseinandersetzen mit der Macht des Bösen. Um so wichtiger dann die Mahnung des Apostels, sich mit Gott und damit auch untereinander zu versöhnen.

 

Nicht vergessen, aber vergeben

Sie kennen sicher die Redewendung: vergeben und vergessen. Ich kann dieser Redewendung nicht zustimmen. Sicher gibt es Dinge, die ich dann nach der Versöhnung auch vergessen kann. Aber viele Dinge kann ich sicher nicht vergessen. Doch ich muss sie auch nicht vergessen. Versöhnung bietet mir eine neue Lebensqualität, die vorausgegangenen Streit und Verletzungen einschließt und überbietet. Ja, ich weiß, dass du mir wehgetan hast. Aber meine Liebe zu Dir ist größer als alle Schuld. Das ist Versöhnung.

 

Gott will Versöhnung

Wie oft erzählt die Hl. Schrift davon, dass wir Menschen uns von Gott abgewandt und den Bund mit ihm gebrochen haben. Im Alten Testament hat sich das Volk Israel immer wieder von Gott abgewandt und ist fremden Götzen nachgelaufen. Das eindrucksvollste Beispiel für Gottes Bereitschaft zur Versöhnung finden wir im Neuen Testament im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15). Die verloren gegangene Einheit zwischen Vater und Sohn beantwortet der Vater mit seinen ausgebreiteten Armen. So geht Versöhnung. Gottes Liebe ist stärker als unsere Schuld. Daher die Aufforderung des Apostels Paulus: Lasst euch mit Gott versöhnen (2 Kor 5,20).

 

Zerschnitten und zusammengeknotet

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eine wunderbare Erfahrung mitgeben, die Menschen machen können, wenn sie zur Versöhnung bereit sind. Diese Erfahrung kann man am schönsten bildlich darstellen. Zwei Kinder sitzen im Abstand von 3 Metern entfernt. In der Hand halten beide eine Schnur als Zeichen ihrer Beziehung (Freundschaft). Auf einmal kommt ein Streit. Einer von beiden schneidet mit einer Schere die Schnur durch. Doch beide versöhnen sich wieder, und die Schnur wird wieder zusammengeknotet. Das geschieht mehrere Male. Ich habe dies häufig im Beichtunterricht den Kindern gezeigt und die Frage gestellt: Hat sich etwas verändert? Beim ersten Mal haben die Kinder noch nichts bemerkt. Doch bald konnten sie feststellen: durch die zahlreichen Knoten sind beide Kinder näher zusammengerückt.

So geht Versöhnung: Menschen rücken näher zusammen – untereinander und mit Gott.

 

So ist Versöhnung

 

Wie ein Fest nach langer Trauer,
wie ein Feuer in der Nacht.
Ein offnes Tor in einer Mauer,
für die Sonne auf gemacht.
Wie ein Brief nach langem Schweigen,
wie ein unverhoffter Gruß.
Wie ein Blatt an toten Zweigen
ein-ich-mag-dich-trotzdem-Kuss.

Ref.: So ist Versöhnung,
so muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung,
so ist vergeben und verzeihn. (2x)

Wie ein Regen in der Wüste,
frischer Tau auf dürrem Land.
Heimatklänge für vermisste,
alte Feinde Hand in Hand.
Wie ein Schlüssel im Gefängnis,
wie in Seenot – Land in Sicht.
Wie ein Weg aus der Bedrängnis
wie ein strahlendes Gesicht.

Wie ein Wort von toten Worten Lippen,
wie ein Blick der Hoffnung weckt.
Wie ein Licht auf steilen Klippen,
wie ein Erdteil neu entdeckt.
Wie der Frühling, der Morgen,
Wie ein Lied wie ein Gedicht.
Wie das Leben, wie die Liebe,
Wie Gott selbst das wahre Licht

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

 

10.03.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

 

König auf einem Esel

König auf einem Esel

Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel. (Sach 9, 9)

Heute betrachten wir den triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem. Jesus zieht in die Stadt ein wie ein großer Sieger voller Macht und Stärke. Und das ist er für uns, denn wir wissen, dass er der König des Universums ist, der gekommen ist, um uns zu retten. Doch es mag seltsam erscheinen, dass er auf einem Esel reitet. Ja, es war ein beliebtes Transportmittel in jenen Tagen, aber wenn Jesus den Menschen zeigen wollte, dass er ein großer König ist, hätte er ein Pferd benutzen sollen, auf dem auch die mächtigen Römer, die Jerusalem damals besetzt hielten, ritten. Was wollte Er damit zeigen, indem Er auf einem Esel ritt? Er wollte noch einmal sagen: Ja, Er ist ein König, aber nicht so, wie wir ihn uns vorstellen. Sein Reich ist eine Realität jenseits dieser Welt, und sie steht im Gegensatz zur menschlichen Mentalität. Der Esel des Herrn ist für uns die klare Botschaft, dass das Reich Gottes dort zu finden sein wird, wo Einfachheit und Demut herrschen, wo es nach menschlichem Ermessen nichts Attraktives, Spektakuläres gibt, wo es gewöhnlichen Alltag und gewöhnliche Menschen gibt. Das ist der Geschmack von Gott und seinem Reich, so hat er uns gerettet. Der Esel ist eines der vielen Zeichen für „Gottes Stil“.  Wenn wir die Karwoche beginnen, lasst uns auch in den folgenden Tagen nach solchen Zeichen Ausschau halten.

Sr.M. Sybilla Kołtan

Ein geistliches Testament

Ein geistliches Testament

Wenn ich bei Beerdigungen eine Rede halte, frage ich gern danach, ob es etwas gibt, was der Verstorbene uns hinterlassen hat. Damit meine ich weniger Geld oder Sachgegenstände, sondern ein Anliegen, das ihm wichtig war, und das in seinem Sinne fortgeführt werden sollte. Es ist also ein geistliches Testament.

Die Generaloberin St. Sybilla hat in ihrem Brief, den Sie am Todestag des Stifters, also am 7. Dezember, geschrieben hat, dieses Testament von Pfarrer Johannes Schneider genannt: „Bleibt einig!“ Es geht ihm also um den Aufbau und die Vertiefung der Einheit.

Drei Gedanken möchte ich Ihnen dazu heute mitgeben.

 

Aufbauen der Einheit

Der Brief von Sr. Sybilla und damit auch die Worte des Stifters Pfarrer Johannes Schneider erinnern uns an eine Sache, die gern schnell in Vergessenheit gerät: Einheit ist nicht von vorn herein einfach da. Sie muss geschaffen und aufgebaut werden. Das gilt übrigens auch für viele andere Dinge.

Ein Beispiel dazu aus dem Bereich der Verwandtschaft. Wenn ich in eine Familie mit mehreren Kindern hineingeboren werde, habe ich einen Bruder oder eine Schwester. Damit daraus auch eine brüderliche oder schwesterliche Beziehung entsteht, die mein Leben bereichert und die für mich auch in schweren Situationen tragfähig und belastbar ist, müssen die Geschwister auch etwas dafür tun. Sie müssen eine Beziehung zueinander aufbauen.

Diese Gedanken kann man gut auf eine Ordensgemeinschaft beziehen. Das Versprechen eines Gelübdes und Tragen eines einheitlichen Ordenskleides macht noch keine Einheit aus.

Damit wird schon deutlich, dass Einheit keine äußerliche Angelegenheit ist, sondern eine innere Beziehung, die die Menschen miteinander verbindet.

Wachen über die Einheit

In dem Brief von Schwester Sybilla werden wir zudem aufgefordert, über die Einheit zu wachen. Die Einheit kann also verloren gehen. Von daher ist unsere Aufmerksamkeit gefordert.

Wachen oder Bewachen – ich denke an Personen oder Gegenstände, die bewacht werden. Dabei handelt es sich immer um solche, die wertvoll und wichtig sind, und bei denen es zu schlimmen Konsequenzen käme, wenn sie gestohlen würden oder verloren gehen. Unwichtige Dinge würde ich nicht bewachen oder bewachen lassen. Schon daraus wird wichtig, dass die Einheit etwas sehr Wertvolles ist. Sie ist wertvoll für unser Zusammenleben, und es hätte negative Konsequenzen, wenn sie verloren gehen würde.

Geistliche Übung: Welche geistlichen Dinge sind Ihnen so wertvoll, dass sie auf keinen Fall verloren gehen dürften? Worüber möchten Sie wachen? (Und wenn Sie weiter überlegen wollen, können Sie sich auch die Frage stellen: Wie sieht Ihr Wachen ganz konkret aus?).

Vertiefen der Einheit

Wir haben eben die Einheit als Beziehung beschrieben. Damit unterliegt sie auch den Gesetzen, denen jede Beziehung unterliegt, nämlich sie kann sich verändern. Sie kann stärker werden, sie kann aber auch abflachen und ganz verschwinden.

Dazu kann ich Ihnen ein schönes Beispiel von der Nordseeküste erzählen. Die Bewohner an der Küste führen einen endlosen Kampf mit dem Meer. In mühevoller Arbeit versuchen sie, dem Meer ein Stück Land abzuringen. Auf die Frage, warum sie dies tun, sagte einmal ein Friese: „Wissen Sie, wenn wir nicht dem Meer das Land abringen, nimmt das Meer uns das Land weg.“ Ein Belassen auf dem gegenwärtigen Status ist nicht möglich.

Dieses Bild beschreibt recht schön das Anliegen des Stifters Pfarrer Johannes Schneider. Wenn ich mich auf der Einheit, so wie ich sie erlebe, ausruhe, wird sie verloren gehen. Meine Aufgabe wird es sein, sie immer wieder zu vertiefen und somit lebendig zu halten. Wie dies konkret aussehen kann, wäre ebenfalls eine gute und lohnenswerte geistliche Übung. Wir werden in späteren Vorträgen auf diese Thema (Vertiefen der Einheit) noch zurückkommen.

 

Prälat Dr. Stefan Dybowski

15.02.2021   Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz

„Mit den Augen des Stifters“

„Mit den Augen des Stifters“

Es passiert mir nicht selten, dass ein ganz gewöhnlicher, unwillkürlich hingeworfener Satz von jemandem für mich zum Anlass tieferes Nachdenken wird. Das war in dem Fall, den ich gleich beschreiben werde, nicht anders. Es war ein gewöhnliches, einfaches Gespräch mit einer älteren Schwester aus meiner Gemeinschaft, deren Gedächtnis manchmal Lücken aufweist. Als sie das Bild unseres Stifters betrachtete, fragte sie mich: „Schwester, hatte unser Stifter eine Brille? Denn ich kann nicht gut sehen.” Ich antwortete, dass er keine Brille trug. Nach einem Moment des Nachdenkens sagte die Schwester: „Oh… nun, dann hatte er gute Augen. Deshalb ist er auch unser Stifterer. Weil er gute Augen hatte.” Dieses Thema hat mich mehrere Wochen beschäftigt und dann habe ich für mich drei Schlussfolgerungen gezogen.

Erstens: Unser Stifter hatte ein gutes Sehvermögen (hier ist nicht das physisches Sehvermögen gemeint), das heißt, er sah viel. Sicherlich hat er mehr gesehen als ich oft sehe. Er sah die unermesslichen Bedürfnisse und die (nicht nur unbedingt materielle) Armut seiner Zeitgenossen. Ich stelle mir eine Frage: bemühe ich mich, mehr zu sehen als meine kleine, sichere Welt (mein sprichwörtliches „Nasenende“)? Sehe ich die sich verändernden Bedürfnisse, Probleme und „Nöte“ meiner Zeitgenossen? Bin ich nicht verwundert über die leeren Augen der Menschen in der Straßenbahn und ihre mit Kopfhörern verstopften Ohren? Bin ich nicht beunruhigt über die Schläfrigkeit der Vernunft bei vielen jungen Menschen? Beunruhigen mich nicht die sehr deutlichen Spaltungen in der Gesellschaft, in den Familien, in den Gemeinschaften? Sehe ich in solch alltäglichen Bildern etwas mehr? Suche ich nach den Ursachen? Der Stifter sah mehr, weiter, tiefer. Deshalb antwortete er adäquat auf die Bedürfnisse der Situation…und innovativ für das 19. Jahrhundert. Und ich? Ich muss leider sagen, dass es mir meist leichter fällt, meinen altbewährten Mustern zu folgen und Jesus nicht zu fragen: „Was würdest Du jetzt tun?“

Zweitens: Pfarrer Schneider hatte buchstäblich „gute Augen“. Habe auch ich ein gutes Auge, „Gottes Auge“? Versuche ich, einen anderen Menschen mit den Augen Gottes zu sehen? Sehe ich in ihm die Schönheit und Güte eines Kindes Gottes? Schließlich war alles, was Gott geschaffen hat, gut. Helfe ich den Menschen, das Licht zu entdecken, mit dem sie auf die Welt gekommen sind? Immerhin kämpft dieses Licht in jedem von uns so hart darum, nicht für den Rest ausgelöscht zu werden… Schütze ich diesen glimmenden Docht? Nicht nur in einem anderen Menschen, sondern auch in mir selbst?

Drittens: Er hatte „erleuchtete Augen des Herzens“ und wusste, „zu welcher Hoffnung Gott ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt und wie  überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.“ (Eph 1,18-19). Er gab anderen das, was er hatte, nämlich einen starken Glauben, Hoffnung und Liebe – eine innere Gewissheit von Gottes Barmherzigkeit… kostenlos, für jeden, ohne Ausnahme. Das erinnert mich an eine einfache Regel: Man gibt, was man in sich hat. Was gebe ich anderen? Wenn ich kein Licht in mir habe, wie soll ich dann anderen den Weg zu Gott leuchten?

Jedes Kind bekommt einen Teil der Eigenschaften seiner Eltern und lernt durch ihr Vorbild. Bin ich eine wahre geistige Tochter von Pfarrer Schneider? Habe ich sein Erbe übernommen? Davon bin ich noch weit entfernt.  Meine Sehkraft scheint auch schlecht zu sein, also muss ich vom GÖTTLICHEN AUGENARZT behandelt werden…

 

Sr. Franciszka Jarnot