März 14, 2022 | SPIRITUALITÄT
Gott unserer Väter, groß und barmherzig! Herr des Lebens und des Friedens, Vater aller Menschen. Wir nehmen heute zu Dir unsere Zuflucht und erbitten Deine Hilfe auf die Fürsprache des heiligen Josef, des fürsorglichen Beschützers Jesu. Du selbst hast ihn als Bräutigam der Gottesmutter zum Haupt der Heiligen Familie erwählt. Auch für uns als Schwestern der Unbefleckten Jungfrau Maria ist er die Stütze in Schwierigkeiten, aber vor allem ist er der Vater und Beschützer unserer Ordensfamilie. Heute stehen wir in diesem Heiligtum vor Dir, um Dir mit Liebe im Herzen unsere Kongregation und unsere Zukunft anzuvertrauen, denn die Zeit und alles ist Dein. Wir vertrauen Dir unsere Ängste und Zweifel an, alles, was unsere Gegenwart ausmacht. Unsere Vergangenheit liegt in Deiner Hand. Unsere Gegenwart liegt in Deinen Händen. Und unsere Zukunft liegt in Deinen Händen. Jede Einzelne von uns ist in Deinen Händen. Gib uns den Mut, immer wieder zu glauben, dass wir in Deiner Hand sind. Denn dein Wille ist Frieden, nicht Angst. Unsere Sorge vor der Zukunft erzeugt Angst, und das ist ein schreckliches Gefühl, so zerstörerisch wie ein Krieg. Heiliger Josef, Gott hat dich zum Herrn seines Hauses und zum Verwalter seines gesamten Besitzes ernannt. Wir rufen dich heute an in der Furcht vor den Geistern der Hölle. Möge der Hl. Erzengel Michael uns helfen, unsere Seelen vor der ewigen Verdammnis zu retten. Wir fürchten den Krieg, der Tod und Zerstörung bringt. Aber dieser und jeder Krieg wird in uns geboren und ist in uns, wenn wir unsere Beziehungen nicht pflegen, wenn wir uns gegenseitig mit Klatsch und Tratsch umbringen, wenn wir uns so weit von unseren religiösen Geboten und Vorschriften entfernen. Schenke du, unser Schutzpatron, uns den Frieden, der in unseren Herzen beginnt. Mögen unsere Herzen von Gott, seiner Liebe und Güte erfüllt sein, dann werden wir überleben. Einziger und allmächtiger Gott, verurteile Kriege und beseitige den Stolz der Gewalttätigen. Du hast deinen Sohn Jesus Christus gesandt, um den Frieden nah und fern zu verkünden und die Menschen aller Rassen und Generationen in einer Familie zu vereinen.
Wir erflehen deine Fürsprache, heiliger Josef, heiliger Schutzpatron Polens und unserer Kongregation und wir bitten auch dich, heiliger Erzengel Michael und rufen mit den Worten des heiligen Johannes Paul II: Es soll keinen Krieg mehr geben – es ist ein böses Abenteuer, von dem es keine Rückkehr gibt, es soll keinen Krieg mehr geben – eine Ansammlung von Kampf und Gewalt. Gib, dass der Krieg in der Ukraine, der deine Geschöpfe im Himmel, auf der Erde und im Meer bedroht, aufhört.
Mit Maria, der Mutter Jesu und der unseren, bitten wir dich, zu den Herzen derjenigen zu sprechen, die für das Schicksal der Völker verantwortlich sind. Zerstöre die Logik der Vergeltung und der Rache und gewähre durch den Heiligen Geist neue Lösungen, die großzügig und edel sind, im Dialog und im geduldigen Warten – fruchtbarer als ein gewaltsamer Krieg.
Vater, schenke unserer Zeit den Friedens. Es soll keinen Krieg mehr geben. Amen.
Jan. 13, 2022 | SPIRITUALITÄT
In diesem Jahr feiern wir in unserer Kongregation das Jubiläum von 50 Jahren Mission in Tansania. Möge dieses Gebet uns vereinen, um gemeinsam zu feiern.
Gott, unser Vater, wir, deine Kinder, kommen mit einem Herzen voller Demut und großer Dankbarkeit zu dir, der du die Quelle aller Güte und Herrlichkeit und der Geber und Spender der verschiedenen Gaben bist. Lieber Vater, in diesem Jahr unseres 50. Jubiläums, danken wir dir und bitten dich, dass dein Segen auch weiterhin mit uns ist und vor allem, dass wir im Geist unseres Stifters treu bleiben und nach seinem Motto leben: BLEIBT IN EINIGKEIT UND LIEBE. Gott, unser allmächtiger Vater, möge auf die Fürsprache der Jungfrau Maria, der Schutzpatronin unserer Kongregation, unsere ewige Zuflucht sein. Amen.
Jan. 2, 2022 | SPIRITUALITÄT
Ein Jahr lang haben wir uns Gedanken zum Thema „Einheit“ gemacht. Dabei haben wir uns orientiert an der Hl. Schrift, an den Zeiten und Festen des Kirchenjahres, so wie überhaupt an Erfahrungen eines menschlichen und christlichen Lebens. Wenn Sie möchten, können Sie gern auch noch einmal die einzelnen Themen anschauen, die wir im Laufe des Jahres behandelt haben.
Dazu stelle ich Ihnen mal die Frage: Könnten Sie sich vorstellen, unsere Überlegungen auch mit einem Menschen zu besprechen, der nicht an Gott glaubt? Meine Antwort: ich denke schon. Denn unsere Gedanken zur Einheit werden auch die Menschen verstehen und bejahen, die ohne Religion leben.
Doch so sehr unsere Themen bisher auch in einem menschlichen Alltag erlebbar sind, möchte ich heute beim letzten Monatsvortag den Blick ganz konkret auf Gott lenken, auf den drei-einigen Gott.
Dreieinigkeit – ein Geheimnis, das viel sagt
Wenn von der Dreifaltigkeit die Rede ist, dann sagen wir ganz schnell: Das ist ein Geheimnis unseres Glaubens. Das stimmt ja auch, denn erklären können wir dieses Geheimnis nicht. Ich habe mal in meinen Predigten zum Dreifaltigkeitssonntg nachgesehen. Da habe ich gesprochen, was die Dreifaltigkeit tut (Schöpfer, Erlöser, Tröster und Begleiter), und wie man ihr danken und sie ehren kann. Heute möchte ich mit Ihnen darüber nachdenken, wie die Dreifaltigkeit ist: ein Gott in drei Personen. Oder wie es in der Präfation heißt: Mit deinem eingeboreren Sohn und dem Heiligen Geist bist Du (Gott Vater) der eine Gott und der eine Herr.
Monarchie oder Koalition
Gestatten Sie mir einen Abstecher in die Politik. Stellen Sie sich vor, Sie wären Königin oder König. Könige waren Alleinherrscher, brauchten niemanden zu fragen und konnten selbstherrlich entscheiden, manchmal wirklich nach Lust und Laune. Bei Tyrannen und Diktatoren haben die Völker das oft leidvoll erleben müssen. Anders in einer Demokratie. Hier dürfen Menschen wählen, wer sie regieren soll. Und da nicht immer eine absolute Mehrheit zustande kommt, werden Koalitionen gebildet. Stellen Sie sich also auch mal vor, Sie müssten eine Regierung bilden und suchten einen oder zwei Koalitionspartner. Da muss man einen Partner suchen, ihn näher kennenlernen, zuhören, was er will, Kompromisse eingehen, nach Meinungsverschiedenheiten immer wieder neu den Dialog suchen, und manchmal auch um der Gemeinschaft willen auf so manche persönliche Profilierung verzichten (Demut). Können Sie da den dreieinigen Gott entdecken …?
Sendung und Gehorsam
Weitere Gedanken zur Einheit Gottes finden wir in den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium. Da betet Jesus um die Einheit seiner Jünger: Alle sollen eins sein, so wie wir eins sind, ich in dir und du in mir (Joh 17,21). Schon vorher hat Jesus davon gesprochen, wie seine Einheit mit dem Vater aussieht: Ich bin nicht gekommen, um meinen eigenen Willen zu erfüllen, sondern den Willen meines Vaters. Die Einheit mit dem Vater zeigt sich also in seiner Sendung und seinem Gehorsam dem Willen des Vaters gegenüber. Und dies ist kein blinder oder erzwungener Gehorsam, sondern ein freiwilliger und liebender Gehorsam.
Zeugnis geben
Eng mit seiner Sendung ist der Auftrag verbunden, Zeugnis zu geben von der Liebe des anderen. Das wird sowohl von Jesus gesagt, der Zeugnis gibt von der Liebe des Vaters, wie auch vom Heiligen Geist, der Zeugnis gibt von Jesus. Ein eindrucksvolles Zeugnis gibt Jesus, als er vor dem römischen Stadthalter Pontius Pilatus steht: Dazu bin ich in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (Joh 18,37). Die Wahrheit ist für Jesus die unbedingte Liebe Gottes zu den Menschen. Für diese Wahrheit hat er gelebt und stirbt sogar dafür.
Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt …
Ein Rückblick in die Kirchengeschichte könnte einen nachdenklich machen. Die dunklen Kapitel sind nicht nur die Zeit der Kreuzzüge oder die Machenschaften der Inquisition und der Hexenprozesse. Ebenso dunkel sind die Zeiten, in denen die Christen untereinander sich gezankt und sogar bekriegt haben. Ich denke an die Trennung der orthodoxen Kirche (1054), an die Reformation (1517), an die Schismen innerhalb der katholischen Kirche, wo es auf einmal 2 Päpste gab, und natürlich an die schrecklichen Glaubenskriege wie z.B. in Irland. Das sind Zeugnisse, die das Glauben schwer machen.
Die Kugeln – eine Lektion Gottes für die Einheit
Es war einmal ein Mann, der kannte ein herrliches Spiel. Er sammelte bunte Glaskugeln. Und wenn man diese Kugeln durch die Luft warf, leuchteten sie herrlich in der Sonne.
Dieser Mann hatte ein Kind, das er sehr liebte. Diesem Kind wollte er dieses Spiel beibringen. „Pass auf!,“ sagte der Mann, „ich werde dir jetzt eine Kugel nach der anderen zuwerfen. Jede Kugel hat eine andere Farbe und einen anderen Namen. Diese hier heißt Freude, die dort Arbeit, die da drüben Friede, diese Leid. Du sollst mir jede Kugel sofort zurückwerfen. Das ist der Sinn des Spieles: das Geben und Nehmen im Wechsel. Nur im Flug glänzen die Kugeln so hell.“
Das Kind hatte verstanden, und das Spiel konnte beginnen. Die Kugeln flogen hin und her, und im Flug leuchteten sie in der Sonne.
Dann aber wollte das Kind eine schöne Kugel behalten. Es drückte sie fest an sich. Da zerbrach die Kugel. Vor Schreck vergaß es, die nächste Kugel zu fangen; sie fiel auf die Erde und ging in tausend Scherben. Je mehr das Kind versuchte, die Kugeln festzuhalten, umso größer wurde der Scherbenhaufen; das Kind schnitt sich, tat sich weh dabei und blutete.
Dem Mann, der mit dem Kind spielte, tat das unendlich leid. Und weil er das Kind so liebhatte, kam er hinzu, bückte sich und trug die Scherben weg. Auch er schnitt sich dabei und blutete. Aber jede Wunde, die er dabei selbst bekam, heilte gleichzeitig eine Wunde des Kindes. Schließlich war er so zerschnitten, dass eine Fortsetzung des Spiels unmöglich erschien. Doch er war bereit, weiter zu spielen.
Doch langsam hatte das Kind begriffen. Und als die Kugel der Freude kam, warf es sie im hohen Bogen zu dem Mann zurück, und die Kugel glänzte in der Sonne. Und als das Leid kam, machte er es ebenso. Jede Bewegung war jetzt auf den Mann gerichtet. Und siehe, das Spiel war sehr gut.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
06.12.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Jan. 2, 2022 | SPIRITUALITÄT
November
Wie kein anderer Monat hält uns der November unsere Zukunft vor Augen. Er erinnert uns daran, dass wir irgendwann unser Leben in die Hand des Schöpfers zurückgeben müssen. Aber er hat auch eine Verheißung: ein ewiges Leben bei Gott.
Wenn Sie diese beiden Botschaften ernst nehmen, denken Sie doch mal über die konkreten Konsequenzen nach. Was wäre, wenn Gott in einer Woche oder sogar schon morgen bei mir anklopfen würde?
Lichtenberg: Alles im Blick auf die Ewigkeit
Im Tagebuch, das der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg in seiner Untersuchungshaft geschrieben hat, finden wir den Satz: Heute will ich alles im Licht der Ewigkeit sehen. Lichtenberg wird seinen zukünftigen Weg ziemlich klar vor Augen gehabt haben. So hat er die irdischen Dinge sehr ernst genommen, aber alles unter dem Maßstab der Ewigkeit gesehen. Eine gute Grundhaltung für ein geistliches Leben.
Geistliche Übung: Was will ich mit Blick auf die Ewigkeit noch tun? Was will ich verändern? Was will ich loslassen?
Der breite Graben
Sie kennen das Gleichnis vom armen Lazarus und dem reichen Mann. Beide müssen sterben, der eine kommt in den Himmel (Abrahams Schoß), der andere muss in der Hölle leiden. Himmel und Hölle werden hier einfach durch die Umkehrung der Lebensverhältnisse beschrieben: Wer es sich in dieser Welt hat gut gehen lassen, der muss leiden, und wer leiden musste, dem wird jetzt das Paradies zuteil.
Diese diese Erklärung macht mich schon sehr nachdenklich, fast Angst. Denn ich muss sagen, dass es mir auf dieser Welt total gut geht. Habe ich dann das gleiche Schicksal zu erwarten wie der reiche Mann?
Doch Jesus gibt in seinem Gleichnis eine weitere Erklärung. Da ist von einem breiten Graben die Rede, die die beiden voneinander trennt. Wer hat diesen Graben gemacht? Gott? Und so langsam kommt der Reiche zur Einsicht, dass er diesen breiten Graben gemacht hat, damals zu Lebzeiten, als er den Armen nicht gesehen hat und auch nicht sehen wollte.
Eine weitere geistliche Übung: Wo sehe ich in meinem Leben solche Gräben. Was oder wen trennen diese Gräben von mir? Bin ich bereit, solche Gräben zu sehen und vielleicht sogar zu überbrücken?
Keiner von uns lebt sich selber … (Röm)
Die zweite Botschaft des Novembers ist die Verheißung: Und erwartet ein neues Leben in der Herrlichkeit Gottes.
Ich möchte Ihnen dazu einen Text aus der Heiligen Schrift mitgeben, den Sie aus vielen Beerdigungsgottesdiensten kennen. Da schreibt der Apostel Paulus:
Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.
Ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn. (Röm 14,7-8)
In den Ansprachen wird dann gern auf die zweite Zeile Bezug genommen, auf die Beziehung zu Gott. Doch davor stellt Paulus unsere Beziehung untereinander. Keiner von uns lebt sich selber, und keiner von uns stirbt sich selber.
Unsere Beziehung zu Gott steht also in einem engen Zusammenhang mit der Beziehung, die wir zu den Menschen haben. Und wenn Paulus danach betont, dass wir Rechenschaft vor Gott abgeben müssen (Röm 14,10.12). Keiner von uns lebt sich selber. Ein Satz, der im Blick auf die Ewigkeit für mich interessant sein könnte.
Karl Borromäus – Reformer der Kirche
Keiner von uns lebt sich selber. Was dies bedeutet, und welche Konsequenzen das auch für die Gemeinschaft und Einheit der Kirche bedeutet, kann man sehr gut an einem Reformer sehen: an dem Hl. Karl Borromäus. Gehen wir dazu in das 16. Jahrhundert. Martin Luther hat mit seinen Thesen die Kirche in Europa in Aufruhr gebracht. Die Kirche war gespalten. Wie konnte man die Einheit wiederfinden. Die Antwort suchte man in einem Konzil: dem Konzil von Trient. Einer der entscheidenden Personen auf diesem Konzil war der Hl. Karl Borromäus. Sein Onkel war Papst, und ihm stand eine glänzende Karriere in Aussicht. Doch er hat sich total zurückgenommen, war sehr anspruchslos, und hat seine ganze Arbeitskraft der Kirche gewidmet. Ein Leben für – in diesem Fall ganz konkret für die Kirche. Die Einheit war ihm wichtiger als seine eigene Person.
Der wiederkommende Christus
Vor uns steht die Zeit des Advents, die Zeit, in der wir an die Wiederkunft Christi erinnert werden. Wir als Christen haben uns anscheinend daran gewöhnt: ist der seit 2000 Jahren nicht wiedergekommen, dann wird das auch in den nächsten 20 oder 30 Jahren nicht passieren. Anders sieht es aus, wenn es um mein ganz persönliches Leben geht. Da kann es mal ganz schnell gehen, dass ich vor dem Angesicht Gottes stehe. Dder breite Graben könnte dann ein entscheidendes Thema sein. Vielleicht nehmen Sie also für diesen Advent noch einmal das Testament unseres Stifters Pfr. Johannes Schneider zur Hand, oder noch besser zu Herzen.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
22.11.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Nov. 25, 2021 | SPIRITUALITÄT
Erinnerungen an die deutsche Geschichte
Erinnern Sie sich noch? Die Besetzungen der deutschen Botschaften in Prag und Warschau 1989, die Öffnung der Grenze zwischen Österreich und Ungarn, die Montagsdemos in Leipzig und an anderen Orten, die erste Maueröffnung am 9. November 1989 und schließlich der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Es waren damals ereignisreiche und bewegte Wochen, die wir alle mit Spannung erlebt haben. Und viele Gefühle haben uns dabei begleitet: Sorge und große Angst, aber auch Hoffnung und Freude. Und als dann schließlich der Einigungsvertrag unterzeichnet war, haben nicht wenige auch die Hände gefaltet und Gott gedankt. Die deutsche Einheit war nicht nur ein Werk von Menschen, sondern wurde auch als Geschenk empfunden, als Geschenk von oben, von Gott.
Es gibt zwei Extrempositionen, die man mit diesem Thema „geschenkte Einheit“ verbinden könnte, und die ich hier kurz andeuten möchte.
Hände in den Schoß legen
Man könnte zum einen meinen: Wenn die Einheit ein Geschenk ist, dann kann und brauche ich auch nichts zu machen. Dann kann ich meine Hände in den Schoß legen und abwarten, bis die Einheit von Gott kommt. Vor dieser Annahme möchte ich warnen. Ich bin sicher, dass die deutsche Einheit niemals zustande gekommen wäre ohne das Bemühen vieler auf beiden Seiten: Politiker, Wissenschaftler, Vertreter der Kirchen, Künstler und vieler einfacher Bürger.
Ferner denke ich dabei nicht nur an die deutsche Einheit. Auch die Christen sind getrennt in verschiedene Konfessionen. Und ich bin dankbar und froh, dass viele Christen nicht die Hände in den Schoß legen und warten, bis Gott etwas bewirkt, sondern dass sie mitwirken und aufeinander zugehen, auch wenn sie wissen, dass die Einheit letztlich ein Geschenk ist.
Verordnete oder erzwungene Einheit
Einheit kann man nicht machen und schon gar nicht anordnen. Das zeigt die jüngere Geschichte mehrerer europäischer Staaten. Die Sowjetunion ist in der Zeit von Glasnost und Peristroika schnell auseinandergefallen. Im ehemaligen Jugoslawien haben die 7 Republiken nach dem Tod Titos sofort ihre Unabhängigkeit erklärt. Und auch in so Ländern wie Großbritannien oder Spanien steht so manches Mal die Einheit auf dem Spiel. Eine verordnete oder gar erzwungene Einheit hat selten Bestand.
Die Wirklichkeit liegt also in der Mitte. Einheit ist ein Geschenk, aber ich kann viel dazu beitragen, dass dieses Geschenk auch Wirklichkeit werden und bleiben kann.
Wertschätzung als Nährboden der Einheit
Einheit braucht einen anderen Nährboden, damit sie wachsen kann. Dieser Nährboden ist die gegenseitige Wertschätzung. Auch dafür gibt es wunderbare Beispiele. Papst Paul VI. hat sich 1964 mit dem Patriarchen Athenagoras getroffen und so einen wichtigen Schritt der Annährung der orthodoxen und der katholischen Kirche getan. Und Willy Brand hat mit seinem Besuch in Warschau im Jahr 1970 sicher auch einen Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Einheit gesetzt. Mit solchen Aktivitäten kann man die Einheit natürlich nicht machen. Mit Sicherheit aber kann man Voraussetzungen schaffen, auf denen die Einheit dann wachsen kann. Sich beschenken lassen und etwas dafür tun schließen sich nicht aus.
Verzicht und Entgegenkommen
Die gegenseitige Wertschätzung, die ich dem anderen entgegenbringe, ist sicher ein großartiges Geschenk, das viel zur Einheit beiträgt. Doch es gibt noch andere Geschenke, die mit Geben erst einmal nicht viel zu tun haben.
Schon als Kind habe ich erfahren, dass ich in der Familie auch auf manches verzichten und Kompromisse schließen musste. Das habe ich bei meinen Eltern erlebt, dann bei meinen Geschwistern und auch bei mir. Sicher war dieser Verzicht am Anfang nicht freiwillig, sondern eher erzwungenermaßen. Aber später durfte ich erleben, dass dieses Entgegenkommen und Verzichten auch dazu beigetragen hat, dass wir als Familie zusammengewachsen sind und heute noch in gutem Kontakt zueinander stehen.
Einen ganz aktuellen Stellenwert bekommen Entgegenkommen und Verzicht beim Zusammenwachsen unserer Pfarreien. Hier ist häufig ein Verzicht notwendig, z.B. bei der Wahl einer Kirche zur Pfarrkirche oder beim Neuverteilen finanzieller Ressourcen. Wenn da nur ängstlich geschaut wird, dass ich ja nicht zu kurz komme, kann Einheit niemals wachsen. Erst wenn mir gemeinsame Ganze wichtiger wird als die eigenen Interessen, kann die eine Pfarrei entstehen.
Dankbarkeit: die Einheit bewahren
Einen geschenkten Blumenstrauß stellt man ins Wasser, um die Blumen lange frisch zu halten. Mit einem geschenkten Fahrrad gehe ich sorgsam aus, um lange damit fahren zu können. Geschenke wollen gepflegt werden. Das ist sicher die schönste Form, um Geschenke wert zu schätzen und dem Geber der Geschenke zu danken. Das gilt für die deutsche Einheit, die uns vor 30 Jahren geschenkt wurde. Das gilt auch für die Einheit der Christen, um die wir uns weiterhin mühen. Und das gilt sicher auch für die Einheit in einem Konvent, einer Ordensgemeinschaft, einem Presbyterium, einer Gemeinde.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
07.10.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Okt. 20, 2021 | SPIRITUALITÄT
Im Laufe der vielen Gedanken, die wir uns jetzt schon zum Thema „Einheit“ gemacht haben, ist eines ganz klar geworden. Einheit ist nicht etwas, was da ist. Einheit sind Beziehungen, die entstehen, die wachsen und vertieft werden können, und mit denen man achtsam umgehen müsse, damit sie nicht verloren gehen (s. auch den Brief von Sr. Sybilla). Daher möchte ich heute mit Ihnen darüber nachdenken, wie die Einheit entstehen und vertieft werden kann.
Einheit fängt bei mir an
Es gibt eine Erkenntnis, die wir im Laufe unseres Lebens machen – der eine früher, der andere später, und die oft sehr schmerzlich ist: Ich kann mir meine Mitmenschen nicht backen, d.h. sie mir so zurechtbiegen, wie ich sie gern haben möchte. Das würde höchstens mit Gewalt gehen und rächt sich oft bitter. Die Weltgeschichte kennt dafür zahlreiche Beispiele, und auch viele Menschen können von diesen Erfahrungen erzählen: Eltern, Lehrer, Seelsorger. Das ist auch eine wichtige Erkenntnis für jede Gemeinschaft. Ich kann die Einheit nicht machen, indem ich die Anderen durch Vorschriften und Regeln zu einem gemeinsamen Tun anhalte.
Ich kann nicht die Anderen verändern. Veränderung kann nur bei mir selbst beginnen. So beginnt auch der erste Schritt zur Einheit bei mir selbst.
Einheit wächst schrittweise
Eines der bekanntesten Gleichnis Jesu ist das Gleichnis von den Samenkörnern. Die Natur braucht viel Zeit, um zu wachsen und Früchte zu bringen. Was für die Natur gilt, gilt auch für das Leben der Menschen. Dazu zwei aktuelle Beispiele:
– Deutsche Einheit
Zum Thema Einheit können wir viel aus der deutschen Geschichte lernen. Eine von diesen Erfahrungen ist, dass Einheit sich nur langsam entwickelt. Nach der Zeit der Abgrenzung im „kalten Krieg“ folgte in Deutschland eine Politik der Annäherung der beiden deutschen Staaten. Und es war ein langer Weg, der zur Wiedervereinigung geführt hat.
– Ökumene
Ähnliche Erfahrungen gibt es auch im Bereich der Ökumene. Auch hier gibt es viele Bemühungen um die Annäherung der beiden großen christlichen Konfessionen.
Vor allem wird deutlich, dass diese Annäherung von unten geschieht. Menschen lernen einander kennen, entdecken die liebenswerten Seiten und Stärken des Anderen und können so Trennungen und Spaltungen überwinden.
Einheit kostet etwas
Kennen Sie den Spruch: „Was nichts kostet, ist auch nichts wert.“ So ganz viel halte ich nicht von diesem Spruch. Es ist so ähnlich wie die irrige Meinung, dass Medizin bitter schmecken muss, wenn sie helfen soll. Doch bei der Einheit würde ich schon sagen, dass ihren Preis hat. Was kostet die Einheit?
Erinnerungen an die Schulzeit: Manche Kinder haben das Lesen und Rechnen schneller gelernt, manche Kinder brauchten länger dazu. Unsere Lehrerin hatte oft viel Geduld aufgewandt, damit auch die Schwächeren nachkommen und die Klasse nicht in zwei Gruppen gespalten wurde.
Erfahrungen bei einer gemeinsamen Wanderung: die Schnellen in der Gruppe mussten immer wieder warten, damit wir als Gruppe gemeinsam das Ziel erreichen konnten.
Geduld, Rücksichtnahme, die dazu notwendige Demut … das sind wichtige Schritte auf dem Weg zur Einheit.
Ein Stück von dir hergeben
Der schönste, aber sicher auch teuerste Preis für die Einheit möchte ich Ihnen mit der Geschichte vom Salzmännchen erzählen.
Ein Salzmännchen kam auf seiner Wanderung durch die endlosen Wüsten schließlich ans Meer. Es hatte das Meer noch nie gesehen und stand ganz fasziniert davor. Es war beeindruckt von der Kraft seiner Wellen und spürte die Frische, die von ihm aus ging.
„Guten Tag!“ sagte das Salzmännchen. – „Guten Tag,“ antwortete das Meer. Wer bist du?“ fragte das Salzmännchen. -„Ich bin das Meer,“ antwortete dieses. „Was heißt das?“ fragte das Salzmännchen. „Ich kenne dich noch nicht.“ – „Wenn du mich kennen lernen willst, musst du näher kommen.“
Das Salzmännchen ging also ein Schritt näher heran, und dann noch einen Schritt und noch einen, bis es mit einem Fuß im Wasser stand. Und tatsächlich: auf einmal spürte es die herrliche Frische des Meeres und seine Kraft. Als es aber wieder aus dem Wasser herausging und auf seinen Fuß schaute, war der Fuß weg.
„Was hast du mit meinem Fuß gemacht?“, fragte das Salzmännchen ganz aufgeregt?“ Aber das Meer blieb ganz ruhig: „Wenn du mich kennen lernen willst, musst du ein Stück von dir hergeben.“ – „Wenn du mich kennen lernen willst, musst du ein Stück von dir hergeben,“ wiederholte das Salzmännchen, um es sich gut zu merken. Und wieder setzte es einen Fuß in das Meer, und dann den anderen, und immer weiter und weiter ging es hinein und hatte dabei das beglückende Gefühl, das Meer immer besser kennen zu lernen.
(aus dem Chinesischen)
Wenn du mich kennenlernen willst, musst du etwas von dir hergeben … das gilt für das Entstehen und Wachsen von Beziehungen, das gilt auch für die Einheit einer Gemeinschaft.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
13.09.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz