Sep. 30, 2021 | SPIRITUALITÄT
Gefangen
Fischernetz – Erinnerungen an meine Kindheit werden wach. Wenn ich mit meiner Mutter auf dem Markt Fisch einkaufen ging, kam der Fischhändler mit einem Netz, tauchte das Netz einmal durch das Becken, und schon zappelte ein Fisch im Netz, der sich nicht mehr daraus befreien konnte. Mir tat der Fisch leid.
Psalm 124,7-8: Israels Dank für die Befreiung. „Unsere Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.“ Netze als Symbol für gefangen sein.
War dies die Intention Jesu, wenn er den Petrus aufforderte: „Du sollst Menschenfischer werden“? Frage an unsere Seelsorge: wollen wir Menschen einfangen (auch für Christus), die dann nicht mehr entkommen können …?
Die Natur als Baumeister
Wenn ich etwas über Netzwerke lernen möchte, würde ich als erstes einen Blick in die Natur werfen. Ein Netzwerk, vor dem sich allerdings viele ekeln, ist das Spinnennetz. Ein grandioses Netzwerk ist z.B. das menschliche Gehirn. Unterschiedliche Zellen stehen miteinander in Verbindung, bilden Knotenpunkte (Synapsen), sorgen für einen reibungslosen Transport von Informationen und Steuerungsimpulsen und reagieren sogar beim Ausfall bestimmter Funktionen durch die Bildung neuer Nervenbahnen und Schaltstellen. Ein genialer Geist muss das gewesen sein, der solche Netzwerke geschaffen hat. Wäre ein solches Netzwerk auch denkbar für die Weitergabe unseres christlichen Glaubens?
Eine gemeinsame Grundidee
Wie entsteht ein Netzwerk?
Voraussetzung für das Funktionieren eines Netzwerkes ist eine gemeinschaftliche Orientierung an einem verbindlichen, starken und nachvollziehbaren Wertemuster (Basiswerte). Wie schnell haben sich damals bei den Flutkatastrophen an Elbe und Oder Netzwerke gebildet, um den betroffenen Menschen helfen zu können. Der Einsatz für Menschen in Not – kann so eine gemeinsame Grundidee sein.
Haben wir so eine gemeinsame Grundidee? Könnte Caritas so eine gemeinsame Grundidee sein: „Not sehen und handeln“? Oder könnten Erzählungen aus dem Evangelium Jesu Christi so eine gemeinsame Grundidee sein, aus der sich dann ein Netzwerk bildet.
Kommunikation
Viele Menschen behaupten von sich, dass sie gut vernetzt sind. Sie verweisen dann auch ihr Adressverzeichnis im Kalender oder in den sozialen Medien. Doch Kommunikation ist mehr als ein Kennen von Personen. Kommunikation bedeutet, mit dem anderen in einer lebendigen Beziehung zu stehen. Eine solche Kommunikation schafft Transparenz und damit Vertrauen. Kommunikation ist also eine wichtige Grundlage für die Einheit.
Dem Leben dienen
Kommunikation setzt eine Begegnung auf Augenhöhe voraus. An dieser Stelle wird häufig argumentiert, dass in einem hierarchischen System wie die Kirche eine solche Kommunikation auf Augenhöhe nicht gegeben sei. Auch hier kann der Blick in die Natur weiterhelfen. Die Natur kennt in ihren Systemen durchaus Über- und Unterordnungen. Dennoch funktioniert eine Kommunikation in ihren Organismen, weil sie dem Leben dient. Das Bild des Apostels Paulus vom menschlichen Leib und seinen Gliedern (1 Kor 12) zeigt sehr gut, wie ein Gelingen von Kommunikation in einem hierarchischen System möglich ist – wenn es dem Leben dient.
Unser Doktor
Geschichte erzählen: Das höhere Gesetz
Geschichte in Gruppen besprechen lassen: Eindrücke, Erkenntnisse …
Durch das Tun von Kurt hat sich ein Netzwerk gebildet, mit dem sich viele Menschen identifiziert haben.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
09.08.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Aug. 20, 2021 | SPIRITUALITÄT
Sie erinnern sich sicher noch an den Brief von Sr. Sybilla und damit auch die Worte des Stifters Pfarrer Johannes Schneider. Einheit ist eine Beziehung. Sie ist nicht von vorn herein einfach da. Sie muss aufgebaut und gepflegt werden. Und sie unterliegt auch den Gesetzen, denen jede Beziehung unterliegt, nämlich sie kann sich verändern. Sie kann stärker werden, sie kann aber auch abflachen und ganz verschwinden. Das gilt für jede Gemeinschaft (Staat, Kirche, Pfarrei), das gilt auch für persönliche Gemeinschaften wie Familien und Freunde, und selbstverständlich auch für Ordensgemeinschaften. Das Versprechen eines Gelübdes oder das Tragen eines einheitlichen Ordenskleides macht noch keine Einheit aus. Einheit ist also eine innere Beziehung, die die Menschen miteinander verbindet.
Wachsen der Einheit konkret
Ich möchte Ihnen heute dazu ein paar geistlichen Impulse mitgeben, die Sie für sich persönlich betrachten und ausprobieren können.
Schon jetzt als Vorbemerkung: fangen Sie behutsam damit an, wenn Sie sich dazu entschließen. Solche konkreten Übungen können sehr anspruchsvoll, aber auch sehr wirkungsvoll sein.
Mein rechter Platz ist leer …
Sie kennen sicher das Kinderspiel, wo ein Kind auf den freien Platz neben sich jemanden wünschen darf. Natürlich haben wir uns damals unsere besten Freunde her gewünscht.
Einheit beginnt mit dem Wahrnehmen. Nehmen Sie doch mal den Platz neben sich (egal ob rechts oder links) zum Thema Ihrer Betrachtung. Wer hat heute neben mir (in der Bank in der Kapelle oder am Tisch beim Mittagessen)? Habe ich mit meiner Nachbarin geredet, sie angeschaut, sie angelächelt? Weiß ich, wie es ihr geht, ob sie etwas bedrückt, ob sie Schmerzen hat? Oder muss ich für mich sagen, dass der Platz neben mir wirklich leer ist, zumindest in dem Sinn, dass es mir eigentlich egal ist, wer da sitzt.
Sammelt euch Schätze im Himmel
In seinen Gleichnissen gebraucht Jesus mehrfach das Bild vom Schätze sammeln. So vergleicht er das Reich Gottes mit einem Schatz im Acker oder einer kostbaren Perle (Mt 13,44-46). Und in der Bergpredigt fordert er uns auf, Schätze zu sammeln, die nicht vergänglich sind (Mt 6,19-21). Das Bild vom Schätze sammeln ist ein beliebtes Thema für Einkehrtage oder Exerzitien.
Ich möchte Sie anregen, Schätze ganz konkret in Ihrer eigenen Gemeinschaft zu suchen. Ein Schatz macht einen Menschen reich. Wer bereichert Ihre Gemeinschaft? Was wäre, wenn es diese Schwester nicht mehr geben würde? Würde uns etwas fehlen.
Eine andere Gerechtigkeit
Der folgende Gedanke ist etwas schwierig, schon deshalb, weil wir Menschen in der Regel darin sehr empfindlich sind: es geht um die Gerechtigkeit. Einheit bedeutet, dass für alle gleich behandelt werden und für alle die gleichen Regeln gelten. Darauf haben wir als Jugendliche in der Familie und in der Schule peinlichst geachtet. Wenn wir das Gefühl hatten, dass jemand vorgezogen wurden, empfanden wir dies als ungerecht und forderten Gerechtigkeit. Grundsätzlich möchte ich von dieser Haltung auch nicht abgehen. Es gehört zur Bewahrung einer Gemeinschaft und ihrer Einheit dazu, dass es verbindliche Regeln gibt, die dann auch für alle gelten, und die alle eint.
Doch spätestens das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) lässt einen nachdenklich werden. Einige Arbeiter meutern: Das ist ungerecht. Doch mit welchem Lohn werde ich allen gerecht? – eine Frage, mit der sich Eltern, Lehrer, Vorgesetzte usw. immer wieder auseinandersetzen müssen.
Eine schöne Antwort dazu habe ich in der Geschichte von Jan und dem Großvater gefunden. Stefanie hat eine kostbare Kette verloren, und Jan findet, dass sie bestraft werden müsste. Für ihn ist es nicht gerecht, dass der Großvater Stefanie verzeiht. Doch der Großvater mit seiner reichen Lebenserfahrung weiß mehr. In einer solchen Welt möchte er nicht leben, da würde er frieren (eine fantastische Bildersprache). Haben Sie das Gefühl, in Ihrer Gemeinschaft zu frieren? Und könnten Sie von dem Großvater etwas lernen zum Thema Einheit?
Prälat Dr. Stefan Dybowski
15.07.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Aug. 7, 2021 | SPIRITUALITÄT
Beginnen Sie mit einer geistlichen Übung. Fragen Sie sich: Welchen Wert hat für Sie eine Gemeinschaft, oder noch konkreter: welchen Wert hat für Sie diese Gemeinschaft, in der Sie jetzt leben oder in der Sie früher gelebt haben? Und ich sage Ihnen gleich: Betrachten Sie diese Frage nicht nur in der Theorie, sondern im praktischen Alltagsgeschehen.
Ich denke, dass das Bemühen um Einheit wesentlich davon abhängt, welchen Wert Sie der Gemeinschaft zumessen. Wenn die Gemeinschaft für Sie ein Wert bedeutet (und das nicht nur auf dem Papier einer Konstitution, sondern im Alltag), dann werden Sie auch dem Anliegen des Stifters Pfr. Johannes Schneider nachkommen und die Einheit suchen und vertiefen wollen.
1+1+1=3
Warum schließen sich Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen?
Es gibt viele und gute Gründe, die für den Zusammenschluss zu einer Gemeinschaft sprechen:
– Stärke in der Gemeinsamkeit
Sehr schnell können Frauen und Männer von Aufgaben, Schwierigkeiten und Not überfordert werden. Die Erfahrung, nicht allein zu sein, stärkt jeden in seinem Tun. Gemeinsam kann man mehr bewegen als allein.
– Vielfalt in der Verschiedenheit
In unserem Leben spielt die Kreativität eine große Rolle. Dies gilt für die Gestaltung des alltäglichen Lebens wie auch für das Lösen von Problemen. Deshalb werden häufig Arbeitsgruppen gebildet. Eine Gemeinschaft ist ein guter Raum, in dem Ideen wachsen und zur Entfaltung gebracht werden können.
– Freude in der Gemeinschaft
Durch das Zusammenschließen (z.B. bei Sport und Spiel, beim Erleben der Natur, beim Musizieren und Singen, auf Reisen) erleben Menschen viel Freude.
All diese Erfahrungen lassen sich kurz auf einen Nenner bringen: Gemeinschaft stärkt und hilft dem Einzelnen. Oder mathematisch ausgedrückt: 1+1+1=3
Mehr als die Summe der Einzelnen
Die eben genannten Kriterien sprechen für eine Gemeinschaft, sind aber nicht unbedingt zwingend für eine solche. Jeder einzelne könnte auch ohne die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft leben, auch ein geistliches Leben. Das kann man auch sehen und erleben: dass eine Gemeinschaft lediglich gesucht und gelebt wird, wenn ich Bedarf (z.B. Unterstützungsbedarf) habe. – Ich wage aber zu behaupten, dass dies allein nicht ausreicht in dem Bemühen um Einheit. Das geht nur, wenn ich in der Gemeinschaft ein „mehr“ sehe, das für mich wertvoll und erstrebenswert ist.
Der Wert der Kommunikation
Bei Eheseminaren wurden folgende Übungen durchgeführt: Jedes Paar sollte mit schon beschrifteten Bausteinen ein Haus bauen. Was ihnen wichtig war, wurde in das Fundament gelegt, was ihnen unwichtig erschien, kam auf den Bauschutt. Im Anschluss wurden die Häuser vorgestellt. Viele Paare haben dabei berichtet, dass nicht die Darstellung des fertigen Hauses das entscheidende war, sondern die beim Bau des Hauses stattgefundene Kommunikation besonders wertvoll empfunden haben.
Der Wert des Überflüssigen
Die Verlockung ist groß, im Leben das notwendige vom nicht-notwendigen zu unterscheiden und sich von allem, was nicht notwendig ist, zu trennen: Das brauche ich nicht, das ist überflüssig.
Dazu ein interessantes Experiment. Sie bauchen zum Stehen wenige Quadratzentimeter Erde, auf die Sie Ihre Füße gesetzt haben. Würde man Ihnen aber die Erde (besser: den Boden) ringsherum entziehen, würde Ihnen schnell schwindlig werden, und Sie würden Angst bekommen. Auch wenn ich den Boden um mich herum nicht zum Stehen brauche, geben sie mir doch Halt und sind wichtig.
Geistliche Übung: Sammeln Sie doch mal in einer Tabelle (mit 2 Spalten), was unbedingt notwendig ist, und was erst einmal nicht unbedingt notwendig ist. Und dann gehen Sie mal in die zweite Spalte (nicht notwendig), und prüfen Sie mal, welchen Wert diese Dinge für Sie haben.
Der Wert der Anderen
Die stärkste Motivation für den Wert der Gemeinschaft scheint mir immer noch die Wertschätzung des Einzelnen zu sein. Das Beitreten zu einer Gemeinschaft ist oft von der Wertschätzung eines Anderen geprägt. Übrigens haben auch Berufungsgeschichten häufig ihren Ursprung darin, dass ich einen Menschen schätzen und lieben gelernt habe.
Suchen und Vertiefen der Einheit
Der Wert, den ich in der Gemeinschaft sehe, ist eine gute Motivation, sich um Einheit zu bemühen und sie vertiefen. Provokativ gesprochen: wer in der Gemeinschaft lediglich einen Zweckverband sieht, wird jede Gelegenheit nutzen, aus der Gemeinschaft innerlich und vielleicht auch äußerlich herauszutreten. Umkehrt aber kann der Wert, den für mich eine Gemeinschaft hat, meine eigene Identifikation mit der Gemeinschaft fördern und meinen Beitrag zur Einheit vertiefen. Oder noch einmal mathematisch ausgedrückt: 1+1+1=4.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
17.06.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Juli 22, 2021 | SPIRITUALITÄT
Vor Jahren habe ich bei einem Kapitel ein Impulsreferat zum Thema „Evangelischer Rat – Armut“ gehalten. Da die evangelischen Räte eine wesentliche Grundlage unseres geistlichen Lebens sind, hoffe ich, der einen oder dem anderen damit ein Impuls oder eine Hilfe für das eigene geistliche Leben geben zu können:
Alle drei evangelischen Räte – und in diesem Fall speziell die Armut – sind kein Selbstzweck, sondern sie sind Ausdruck des im Neuen Testament verheißenen „Leben in Fülle“ (Joh. 10,10). Das bedeutet, sie sollen, wie Sr. Zoe Marie Isenring in ihrem Buch „Die Frau in apostolisch-tätigen Ordensgemeinschaften“ schreibt, „Mittel zu mehr und nicht weniger Menschsein“ sein.
Für mich klingt das zunächst provozierend und wirft einige Fragen auf:
- Materielle Armut als solche ist für mich kein Wert, den es anzustreben gilt, sondern sie ist ein Unrecht, dem wir im Auftrag Gottes Abhilfe verschaffen sollen. Gott will für alle Menschen die Fülle, d. h. auch die Überwindung der Armut. Da wir diese Ungerechtigkeiten nicht mit Gewalt – also neuer Ungerechtigkeit – verändern können, verpflichtet uns dieser Aspekt der Armut zu einer einfachen und anspruchslosen Lebensform, zu einem verantwortlichen Umgang mit dem Eigentum und wird zur Pflicht des Teilens aus Solidarität mit den Menschen, weil ihnen das Nötigste fehlt. So verstandene Armut wird für die Gemeinschaft der Menschen zum Mittel zu mehr Menschsein – zum Mittel für eine gerechtere Welt. Fragen wir uns als einzelne und als Gemeinschaft: – Wie einfach und anspruchslos ist mein Lebensstil? – Wird mein Lebensstil und das Leben der Gemeinschaft zum Zeichen oder zum Stein des Anstoßes? – Sind wir für die Menschen diejenigen, die das Gelübde der Armut feierlich ablegen und jetzt recht behaglich leben und die Menschen draußen dagegen diejenigen, die die Armut leben, ja leben müssen?
- Armut hat immer auch mit Verzicht zu tun. Bewusster und freier Verzicht gehören untrennbar zur Armut. Wo dieser Aspekt fehlt, wird das Gelübde zur leeren Worthülse und unser Leben wird unglaubwürdig. Aber Armut darf auch nicht nur auf Verzicht reduziert werden. Wir sind als freie und geliebte Töchter Gottes geschaffen und Gott hat uns die Dinge dieser Welt zum Gebrauch geschenkt. Wir dürfen sie in Freude und Verantwortung gebrauchen. Das Gelübde der Armut entbindet mich und jede einzelne von uns nicht von unserer Verantwortung für das je eigene Leben. Nicht die Oberin ist für mein Leben verantwortlich und auch nicht dafür, dass ich so viele Dinge im Leben nicht bekommen habe oder darauf verzichten musste! Ich bin von Gott in Freiheit geschaffen und als freier Mensch gewollt. Auch und gerade als Ordensfrau. Nur wenn ich mich selbst als geliebt und gewollt sehen und die Dinge dieser Welt als Geschenk annehmen kann, bin ich in der Lage, mich selbst und alles loszulassen, weiter zu schenken und zu verzichten. Fragen wir uns als einzelne und als Gemeinschaft: – Erlebe ich mich als von Gott geliebte Tochter? – Kann ich mich an den Dingen dieser Welt freuen? – Kann ich sie als Geschenk sehen oder muss ich alles haben? – Kenne ich den Unterschied zwischen einem unersättlichen „Haben-wollen“ und einem guten „Mir etwas gönnen“? – Kann ich auch den anderen etwas abgeben, ihnen gegenüber großzügig sein? – Kann ich verzichten, ohne bitter oder griesgrämig zu werden?
- Das Gelübde der Armut hat nur Sinn und Wert, wenn es nicht nur eine äußere Lebensform, sondern eine innere Haltung Nur wenn ich mein Herz nicht an die Dinge dieser Welt hänge, bin ich wirklich frei für die Nachfolge Christi. Das stellt mich aber dann vor die Frage: Woran hängt mein Herz? Worauf vertraue ich? Traue ich diesem Gott wirklich oder muss ich für mich selber sorgen? Das ist wohl der wesentlichste, aber auch schwerste Aspekt des Armutsgelübdes. Nur wer in diesem Sinne arm ist, ist jederzeit frei für den Anruf Gottes und kann ihm – ohne hinderliches Marschgepäck – folgen. Hier geht es nicht nur um materielle Dinge, sondern z.B. auch um Positionen in der Gemeinschaft, im Beruf oder persönlichen Leben, die man sich erarbeitet hat, die aber schnell auch zum Reichtum werden können. Fragen wir uns als einzelne und als Gemeinschaft: – Woran hängt mein Herz? – Traue ich Gott, dass ER mich führt oder habe ich Angst vor Ihm und seinen Forderungen? – Muss ich mein Leben absichern und deshalb alles haben oder behalten? – Wie reich oder arm bin ich wirklich? – Was kann oder will ich nicht loslassen: das Amt oder die Aufgabe, die ich schon so lange innehabe; den Konvent, in dem ich mich so wohl fühle; die Position, die mir so viel Ansehen gebracht hat…?
Zum Gelübde der Armut gäbe es noch viel zu sagen. Doch sie sollen nur ein kleiner Impuls zum Nachdenken sein und uns helfen, das Gelübde der Armut neu und tiefer zu verstehen und zu leben.
Sr. Petra Ladig
Juni 13, 2021 | SPIRITUALITÄT
Die vielen Gnadengaben und der eine Geist
In seinem 1. Korintherbrief beschreibt der Apostel Paulus das Leben der Gemeinde dort mit den vielen verschiedenen Gnadengaben, die dort zu finden sind, und die zur Einheit verbunden sind durch den einen Geist.
In wenigen Tagen feiern wir Pfingsten. Kann der Heiligen Geist unser Lehrmeister werden, um unsere Einheit zu bewahren und zu vertiefen?
Sprachen lernen
Immer wieder begeistert mich die Erzählung vom Pfingstfest in Jerusalem. Mutig und begeistert haben die Apostel von Jesus, dem Auferstandenen erzählt. Und die Apostelgeschichte berichtet: alle konnten sie in ihrer Sprache verstehen. Wie konnte ein Römer, ein Araber oder ein Ägypter einen Juden verstehen? Man kann dies schnell als ein Wunder des Heiligen Geistes abtun. Ein Wunder – dem würde ich zustimmen, aber abtun würde ich es nicht, ganz im Gegenteil. Ich würde von diesem Wunder lernen wollen. Kann ich das auch: in einer Sprache reden, die der andere versteht?
Babylon
Die gleiche Sprache – und doch nicht verstehen (wollen)
Wir haben es doch in unserer eigenen Geschichte erlebt: Menschen benutzen das gleiche Wort (z.B. Frieden, Freiheit, Menschenwürde), und meinen etwas ganz anderes. Daraus entstehen Meinungsverschiedenheiten, Konflikte, Krieg.
Pfingsten
Eine fremde Sprache – und doch kann ich den anderen verstehen
Doch das andere gibt es auch. Da wollen Menschen aufeinander zugehen, wollen einander verstehen, weil sie von der gleichen Idee – vielleicht auch von dem gleichen Geist – beseelt sind, und es entsteht eine Gemeinschaft. Pfingsten ist also auch heute möglich. Auch heute bewirkt Gottes Geist, dass Menschen einander verstehen wollen und können, und führt sie so zu Einheit.
Du bist mein geliebter Sohn (geliebte Tochter)
Der Hl. Geist wird häufig als die Liebe bezeichnet, die Gott Vater mit dem Sohn verbindet. Dies wird sehr eindrucksvoll bei der Taufe Jesu dargestellt. In allen 4 Evangelium wird von der Taufe Jesu im Jordan berichtet. Und in allen Berichten wird der Geist Gottes erwähnt, der in Gestalt einer Taube von oben herabkam. Und eine Stimme sprach: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe.
An dir habe ich mein Wohlgefallen gefunden. – Mit diesem Satz wird die tiefe, liebende Beziehung zwischen Jesus und seinem Vater ausgedrückt.
Nehmen Sie die Erzählung von der Taufe Jesu in ihre geistliche Betrachtung! Dazu einige Fragen: Hat Gott schon einmal so zu Ihnen gesagt? Wann? Direkt oder durch einen anderen Menschen? Mit welchen Worten oder auf welche Weise? – Haben Sie diesen Satz zu anderen gesprochen? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Alle sollen eins sein
Das Thema „Einheit“ ist neben der Liebe ein wichtiges Thema in den Abschiedsreden Jesu (Joh 15-17), aus denen wir in den Wochen vor Pfingsten oft im Evangelium hören.
In seinen Abschiedsreden, in denen Jesus seinen Jüngern auch den Heiligen Geist verheißen hat, bittet Jesus für die Jünger: „Alle sollen eins sein, wie du, Vater, in mir und ich in dir“ (Joh 17,21). Jesus bittet um die Einheit seiner Jünger, d.h. damit auch um die Einheit der Kirche und aller ihrer Glieder. Das ist bei ihm mehr als ein frommer Wunsch. Seine Bitte um Einheit hat zwei Ziele:
damit die Welt glaubt (Joh 17,21)
Der Jesuit Alfred Delp hat es kurz vor seiner Hinrichtung einmal ganz deutlich gesagt: „Wenn die Kirche noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumutet, ist sie abgeschrieben.“ Mit anderen Worten: dann ist sie nicht mehr glaubwürdig. Umgekehrt können Christen, die in der Einheit leben, andere nachdenklich machen und zum Glauben an Jesus Christus bringen.
Damit sie deine Herrlichkeit sehen (Joh 17,22.24)
Schon in den früheren Monatsvorträgen haben wir gesehen, wie ein Bemühen und Vertiefen der Einheit das Leben der Menschen zum Positiven verändern und damit auch glücklich machen kann. Am deutlichsten ist dies beim Thema Versöhnung zu erleben.
Keiner soll verloren gehen
In den Abschiedsreden Jesu findet sich noch eine weitere Bitte um Einheit. Da bittet Jesus, dass alle eins sein sollen (Joh 17,11). Und er fügt hinzu, dass keiner verloren gegangen ist (Joh 17,12). Damit bezieht sich Jesus auf eine frühere Aussage: „Es ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse“ (Joh 6,39).
Diese Bitte Jesu kann man grundsätzlich auf das ewige Leben beziehen; also mit anderen Worten: Jesus möchte, dass alle Menschen gerettet werden und in den Himmel kommen.
Doch man kann diese Bitte auch schon auf Erfahrungen im Alltag beziehen: ich will, dass keiner fallengelassen oder abgeschrieben wird. Mit dieser Haltung ist Jesus den Menschen begegnet. Es gab durchaus viele, die von der damaligen Gesellschaft und auch von den Vertretern der Religion abgeschrieben und gemieden wurden: Zöllner, Kranke, Fremde, Aussätzige, Ehebrecher. Mit denen wollte niemand Gemeinschaft haben, deren Einheit war zerbrochen. Jesus hat sich diesen Menschen zugewandt, damit auch oft Anstoß erregt. Doch die Menschen haben gespürt, dass er sie nicht abgeschrieben hat. In seinen Augen (d.h. in den Augen Gottes) waren diese Menschen wertvoll. Und diese Zuwendung hat oft ihr Leben verändert.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
10.05.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz
Mai 27, 2021 | SPIRITUALITÄT
Liturgie als Lehrerin der Einheit
Schon mehrfach haben wir uns daran erinnert, dass Einheit nicht ein gemeinsames äußerliches Merkmal, sondern eine lebendige Beziehung ist. Daher auch die Mahnung des Stifters, die Einheit zu bewahren und zu vertiefen. Wie kann man diese Einheit erhalten und vertiefen?
Eine gute Antwort hat uns die Fastenzeit gegeben. Das Thema im März: Versöhnung (2. Lesung vom Aschermittwoch: „Lasst Euch mit Gott versöhnen!“ 2 Kor 5,20ff).
Auch die Osterzeit bietet einen wichtigen Impuls für unsere Frage, wie man die Einheit bewahren und vertiefen kann. So möchte ich heute den Vortrag mit einem Satz aus der Apostelgeschichte überschreiben: Sie hatten alles gemeinsam (1. Lesung 2. Ostersonntag Lesejahr B): „Sie hatten alles gemeinsam“ Apg 4,32-37)
Ein Herz und eine Seele
Der Text (Apg 4,32-37) beginnt mit diesem wunderbaren Satz: „Sie waren ein Herz und eine Seele.“ So etwas sagt man manchmal, wenn zwei Menschen eine tiefe und innige Freundschaft verbindet. Diese Beschreibung verwendet der Apostel Lukas, um in der Apostelgeschichte das Leben der jungen urchristlichen Gemeinde zu beschreiben. Ein schöner Ausdruck, um Einheit zu beschreiben.
Frage zum Nachdenken: Gab oder gibt es Menschen, mit denen Sie sozusagen „ein Herz und eine Seele“ sind oder waren? Wie haben Sie diese Zeiten erlebt? Wie würden Sie dies beschreiben (die gleichen Interessen, die gleichen Ansichten, Sympathie, gemeinsam verbrachte Zeiten …)? Oder haben Sie noch andere Erfahrungen mit diesem Satz gemacht?
Teilen
Lukas geht weiter. Für ihn bedeutet dieser Satz: „sie waren ein Herz und eine Seele“ mehr als die Übereinstimmung von Ansichten und Interessen oder ein Gefühl von Sympathie. Lukas wird ganz konkret: da verkauft jemand seinen Besitz und stellt den Erlös den Anderen zur Verfügung. Teilen ist das Stichwort. Ich teile, was ich habe, mit den Anderen, und so entsteht eine communio, eine Einheit.
Was ich habe, das gebe ich dir
Im Kapitel davor (Apg 3,1-10) heilen Petrus und Johannes einen Gelähmten, der vor dem Tempel bettelte. Petrus baut eine Beziehung zu ihm auf „Sieh uns an!“ Danach erteilt er dem Bettler eine Absage: „Silber und Gold besitze ich nicht.“ Und dann kommt seine Zusage: „Was ich habe, das gebe ich dir.“
Das Leben teilen
In der Apostelgeschichte wird zunächst davon berichtet, dass hier materielle Dinge geteilt werden. Doch bald kann man erahnen, dass nicht nur materielle Dinge geteilt wurden. Der Satz „Keiner unter ihnen litt Not“ lässt vermuten, dass hier auch seelische Nöte gemeint sein könnten. Da ist jemand, einsam, krank, traurig … und die Anderen lassen ihn nicht mit seiner Not allein, sondern teilen mit ihm, was sie haben: Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld.
Kritisieren oder ausprobieren
Dieser Abschnitt vom Leben der jungen christlichen Gemeinde wird oft mit Skepsis betrachtet: Ob es wirklich so war oder vom Schreiber doch etwas zu sehr idealisiert wurde? Und außerdem war es eine kleine Gemeinschaft. In unseren heutigen Gemeinden wäre das bei dieser Größe so nicht denkbar …
Mag sein, aber das hindert uns doch nicht daran, dies einmal auszuprobieren. Ich vermute, es wird nicht gleich Ihr ganzes Leben umkrempeln, aber einiges wird sich doch verändern.
Mein Betrag zur Einheit
Einheit ist also nicht nur eine äußere Wirklichkeit, die ich vorfinde oder in die ich hineingestellt werde. Einheit entsteht und lebt davon, dass ich meinen Beitrag leisten kann, um sie erhalten und vertiefen.
Geistliche Übung: Welchen Beitrag leiste ich, damit die Einheit in der Gemeinschaft erhalten und vertieft werden kann. Was bin ich bereit zu geben?
… damit die Hochzeit stattfinden kann
Es gibt eine Geschichte, in der zwei junge Menschen heiraten wollen. Weil die beiden aber so arm sind, können Sie sich eine große Hochzeitsfeier nicht leisten. So bitten sie jeden der Gäste, eine Flasche Wein mitzubringen. Der Inhalt der Flaschen wurde in ein großes Fass geschüttet, und als die Gäste daraus tranken, waren alle enttäuscht. Jeder hatte nur Wasser dazugegeben.
Bewahren und Vertiefen der Einheit … damit die Hochzeit (das Fest) stattfinden kann.
Prälat Dr. Stefan Dybowski
19.04.2021 Monatsvortrag Kloster St. Augustinus, Berlin-Lankwitz